88 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 24.)
minder gefährlichen Weg der Stärkung der Reichsfinanzen zu betreten. Es
liegt auf der Hand, daß diese Disposition des Zentrums in der Fraktion
sofort die Oberhand gewinnen würde, wenn die Verhandlungen mit Rom
gerade in der Zeit der parlamentarischen Entscheidung über das Tabak-
monopol an einem Scheideweg anlangen sollten. — Ein großer Teil des
Liberalismus hat sich in blind verstockte Opposition hineingeredet. Die-
jenige Presse jedoch, welche dem einsichtigen Führer der Nationalliberalen
befreundet ist, deutete kürzlich an, die Nationalliberalen würden unter Ab-
lehnung des Monopols mit einer anderen Basis zu einer entwicklungsfähigen
Steuerverfassung des Reiches hervortreten. Ist die Basis gut, so werden
die Nationalliberalen einen verdienten Triumph feiern, ist sie unbrauchbar,
so werden sie sich hoffentlich zum Monopol bekehren. — Aus dieser Cha-
rakteristik der Sachlage erhellt wohl, wie voreilig und urteillos das Ge-
schrei desjenigen Teiles der liberalen Presse ist, der sich nur noch darüber
streitet, ob das Monopol gleich bei der ersten Lesung mit Pauken und Trom-
peten zurückgewiesen werden oder in einer langen Beratung so seciert werden
solle, daß es nie wieder zum Leben erwachen könne." Diese Darlegung
stimmt im wesentlichen mit den vom Reichskanzler dem Monopolgesetzentwurfe
beigegebenen Motiven durchaus überein., nur spricht sie das, was dort bloß
angedeutet ist, rund und nett aus. Die offiziöse Darlegung ist übrigens
offenbar mehr für die Regierungen als für die Parteien berechnet. Daß sie
nicht ohne Wahrheit ist, wird sich kaum läugnen lassen. Aber sie ist ein-
seitig. Politisch hat Preußen allerdings weniger als irgend ein anderer
Einzelstaat, selbst Bayern nicht ausgenommen, resp. gar nichts zu fürchten;
aber finanziell bedarf es der kanzlerischen Steuerreform mehr als irgend
einer, mehr selbst als Bayern.
Der Antrag Bayerns, für alle gewerblichen Arbeiter Arbeits-
bücher obligatorisch einzuführen, wird abgelehnt.
Dieselben Gründe, welche den Bundesrat bei der Beratung des Ent-
wurfs zu der Gewerbeordnungsnovelle vom 17. Juli 1878 bestimmten, von
einer Einführung allgemeiner Arbeitsbücher Abstand zu nehmen, werden da-
mit von der Majorität des Bundesrats auch heute noch anerkannt. Damals
wurde für das ablehnende Votum geltend gemacht, daß schon die äußerliche
Durchführung einer solchen Bestimmung außerordentlich große Schwierig-
keiten bieten würde. Noch mehr würde gegen dieselbe ins Gewicht fallen,
daß sie, wie die angestellten Erhebungen ergeben, keineswegs alle Kreise der
Arbeitgeber für sich, andererseits aber die große Mehrheit der Arbeitnehmer
gegen sich habe. Bei den Arbeitgebern würde sie vielfach auf Gleichgiltig-
keit, bei den Arbeitern auf Abneigung und Widerstand stoßen. Gegen solche
Hindernisse vermöge die Gesetzgebung wenig. Massenbestrafungen aller Ar-
beiter, welche dem Gesetze zuwider das Arbeitsbuch nicht führen, würden
nur agitatorischen Umtrieben nützlich werden, ein Einschreiten gegen die Ar-
beitgeber, wodurch diese gezwungen würden, die das Gesetz nicht beachtenden
Arbeiter zu entlassen, würde für die Industrie selbst schädlich und zudem
nicht durchführbar sein. Selbst wer geneigt sei, eine allgemeine Verpflichtung
zur Einführung von Arbeitsbüchern an sich als erwünscht zu betrachten,
werde doch anerkennen müssen, daß die Durchführbarkeit einer solchen, tief
in die sozialen Verhältnisse eingreifenden Maßregel nicht auf dem Gesetze
allein, sondern ebensosehr auf dem Verständnisse der beteiligten Kreise beruhe.
24. April. (Preußen.) Abg.-Haus: genehmigt die Vorlage
über die Einsetzung von Bezirkseisenbahnräten und eines Land-
eisenbahnrates nach den Anträgen der Kommission mit einigen