92 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 27.)
Regierungen hält die Form des Monopols für diejenige, welche die Interessen
der Konsumenten und der Tabakbauer am meisten schont und dabei an Er-
gibigkeit alle anderen Formen der Besteuerung übertrifft. Sie würde daher
zu anderen Vorschlägen erst übergehen, wenn sie die Aussicht auf Zustim-
mung der Volksvertretung zum Monopol aufzugeben genötigt wäre. Wenn
die Reichsregierung weder in der einen noch in der andern Form Aussicht
auf die Bewilligung höherer Reichseinnahmen hätte, so würde sie mit Be-
dauern und zum Schmerze Sr. Majestät des Kaisers für jetzt auf die
Reformen der Steuerverfassung des Reiches und der Einzel-
staaten verzichten müssen, welche als ein Bedürfnis der Bevöl-
kerung von allen Regierungen seit Jahren erkannt und in der Botschaft
vom 17. November v. J. von Sr. Majestät dem Kaiser verheißen worden
—Die mit der Anwendung des Zolltarifgesetzes gemachten Er-
fahrungen haben für die Mühlenindustrie die Gewährung einer Ausfuhr-
erleichterung und für einige andere Produktionszweige eine Änderung der
Tarifsätze als wünschenswert ergeben. Es wird Ihnen daher der Entwurf
eines Gesetzes hierüber vorgelegt werden. — Ein zwischen dem Reiche und
Brasilien abgeschlossener Konsularvertrag wird Ihrer verfassungsmäßigen
Beschlußfassung unterbreitet werden. — Die auswärtigen Verhältnisse
des Reiches fahren fort, nach jeder Richtung hin das Vertrauen auf die
Dauer der friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu rechtfertigen,
von denen die a. h. Botschaft vom 17. November v. J. Zeugnis ablegte. —
Je größer die Tragweite der Arbeiten ist, welche Sie, geehrte Herren, er-
warten, desto mehr vertrauen die verbündeten Regierungen, daß es Ihrer
hingebenden Tätigleit mit Gottes Hilfe gelingen werde, die großen Auf-
gaben, um die es sich handelt, einer für die Konsolidierung unserer natio-
nalen Einrichtungen und für die gedeihliche Entwicklung des Vaterlandes
segensvollen Lösung entgegenzuführen."
Thronrede überrascht insofern, als man nicht die Ankündigung
einer anderweitigen Erhöhung der Tabaksteuer nach Ablehnung des Mono-
pols, an der, sei die Mehrheit nun eine größere oder kleinere, bereits nicht
gezweifelt wird, erwartet hatte. Man glaubt nun, die Herbstsession solle eine
Vorlage über die Gewichtsteuer bringen. Die ausdrückliche Betonung fried-
licher Aussichten befriedigt allgemein.
In den Fraktionen des Reichstages sind seit dem Schlusse der
letzten Session nur wenige Veränderungen vorgegangen. Die Deutschkonserva-
tiven sind durch Todesfall von 49 auf 48 zurückgegangen, die deutsche Reichs-
partei ebenso von 27 auf 26; das Zentrum durch zwei Rücktritte von 107
auf 105. Die Fortschrittspartei hat jetzt die Zahl von 60 Mitgliedern er-
reicht. Die Polen zählen nach wie vor 18 Mitglieder, die National-
Liberalen 45, die liberale Vereinigung 47, die Volkspartei und die Sozial-
Demokraten 12. Die Summe der Fraktionslosen, worunter 15 Elsaß-Loth=
ringer, ist durch Mandatsniederlegung des früheren Ministers Falk von 25
auf 24 vermindert.
27. April. (Preußen.) Der preuß. Landtag soll trotz der
Abneigung der Abgeordneten vorerst noch neben dem Reichstag tagen.
Das preußische Ministerium beschließt ausdrücklich, daß, trotz des
Widerspruchs der Konservativen, die Kreisordnung für Hannover
und das Verwendungsgesetz noch vom Landtag beraten werden
müssen, so daß der Schluß der Landtagssession wohl erst in der
zweiten Woche des Mai würde erfolgen können.