91 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende April — Mai 1.)
stellt hat. Die Opposition ist denn auch nachgerade viel zahmer geworden.
Dr. Rittler, der ursprüngliche Führer der extremsten Fraktion, ging schließ-
lich zu den Patrioten oder der gemäßigt ultramontanen Fraktion über und
begnügte sich, wenn auch unter Protest und ohne prinzipiell seinen früheren
Standpunkt aufzugeben, tatsächlich mit den dargebotenen Konzessionen der
Regierung. Dafür soll er durch eine Lyzealprofessur belohnt werden. welche
Belohnung jedoch ziemlich lange auf sich warten läßt, da selbst die kirch-
lichen Gewalten Abneigung oder Scheu vor ihm zu haben scheinen.
— April. (Deutsches Reich.) Die Blätter heben hervor,
daß in den letzten Jahren die Befestigung der deutschen Ostseeküste
eine größere Berücksichtigung erfahren habe und fortwährend erfahre.
So sind, nach einem Artikel der „Allgemeinen Militär-Zeitung“,
namentlich die Werke von Pillau, durch welchen Vorplatz von Königsberg
die Einfahrt in das Frische Haff gesichert wird, durch zwei starke Panzer-
forts, und die Befestigung von Memel durch ein neues Fort verstärkt worden.
Für die Land- und Seebefestigung von Danzig sollen nach demselben Organ
nicht weniger als 15 Millionen Mark teils schon ausgewendet worden sein,
teils noch zur Verwendung gelangen. Die Neubefestigung durch drei Forts
auf dem linken und fünf auf dem rechten Weichselufer wird ebenso wie die
von Posen durch insgesamt elf Forts als in den Grundbauten vollendet
angegeben, und hat dieselbe für den erstgenannten großen Waffenplatz 15,
für den letztgenannten 21 Millionen beansprucht. Die Neubefestigung von
Küstrin durch sechs weit vorgelegte Forts wird 11 Millionen erfordern.
„Die offene Stelle der deutschen Ostgrenze“, äußert sich jenes Fachorgan,
„ ist allein Schlesien, und im Falle eines deutsch- russichen Krieges wird Ruß-
land zweifellos versuchen, mit einer dritten Armee (die beiden anderen russi-
schen Armeen werden als gegen Königsberg und Posen verwendet angenom-
men) über Breslau im Bogen gegen Berlin zu marschieren."
— April. (Deutsches Reich.) Großes Aufsehen macht das
Erscheinen des von dem im Reichsamte des Innern zu Berlin be-
schäftigten kais. Reg.-Rate Dr. v. Poschinger, einem gebornen Bayern,
in 3 Bänden herausgegebenen Buches: „Preußen im Bundestag
1851—1859, Dokumente der kgl. preuß. Bundestagsgesandtschaft.
Leipzig 1882, S. Hirzel“, das mit größter Offenheit eine Reihe
von diplomatischen Berichten des damaligen Gesandten Hrn. von
Bismarck veröffentlicht. Die ganze Misere des damaligen Bundes-
tags und des damaligen Deutschlands tritt dadurch der öffentlichen
Meinung in geradezu erschreckender und abschreckender Deutlichkeit
wieder vor die Augen, zeigt aber auch sozusagen handgreiflich, wie
notwendig der furchtbare Schlag von 1866, der jener ganzen Misere
ein Ende machte, war, und wie unendlich weit Deutschland in der
immerhin kurzen Spanne Zeit seither gekommen ist. Freilich ist
das Buch auch ein wahres Mene Mene Tekel für Deutschland auf
alle Zukunft hinaus.
1—2. Mai. (Preußen.) Herrenhaus: genehmigt den vom
Abg.-Hause angenommenen konf.-ultram. Kompromiß bez. des neuen