Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 2.) 95 
kirchenpolitischen Gesetzes mit zwei leichten Änderungen dahin gehend, 
daß für die diskretionäre Gewalt der Regierung nach § 1 die Frist 
um ein Jahr, bis zum 1. April 1884, verlängert und dem § 3 
eine etwas strengere Fassung gegeben wird. Der Bischofsparagraph 
wird mit 84 gegen 36, das ganze Gesetz mit 87 gegen 11 Stim- 
men angenommen. 
Der Art. 3 hat nunmehr folgenden Wortlaut: „Von Ablegung der 
im § 4 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 vorgeschriebenen wissenschaftlichen 
Staatsprüfung sind diejenigen Kandidaten befreit, welche durch Vorlegung 
von Zeugnissen den Nachweis führen, daß sie die Entlassungsprüfung auf 
einem deutschen Gymnasium abgelegt, sowie ein dreijähriges theologisches 
Studium auf einer deutschen Universität oder auf einem in Preußen be- 
stehenden kirchlichen Seminar, hinsichtlich dessen die gesetzlichen Voraus- 
setzungen für den Ersatz des Universitätsstudiums durch das Studium auf 
diesem Seminar erfüllt sind, zurückgelegt, und während dieses Studiums 
Vorlesungen aus dem Gebiete der Philosophie, Geschichte und deutschen 
Literatur mit Fleiß gehört haben.“ In den Beschlüssen des anderen Hauses 
lautete der Passus hinsichtlich des Seminars wie folgt: „welches nach dem 
Gesetze die Universität zu ersetzen geeignet ist.“ Die beiden leichten Ände- 
rungen des Gesetzes entsprechen einem von der Regierung ausgesprochenen 
Wunsche. Im übrigen ist der Kultminister v. Goßler mit dem Gesetz 
ganz einverstanden: Soll man bei dem allseitig anerkannten Friedens- bedürfnis 
warten, bis die Gegenpartei mit Konzessionen hervorgetreten ist? Diesen 
Standpunkt hat die Staatsregierung ihren katholischen Unterthanen gegen- 
über nicht gehabt, weder bei dem Juligesetz von 1880, noch bei der heute 
in Frage stehenden Vorlage. Seit zwei Jahren unterhalten wir uns mit 
der Kurie über die wichtigsten Prinzipien der Maigesetze; sollten inzwischen 
die katholischen Staatsbürger auf ihr gutes Recht verzichten! Der Vor- 
redner übersieht, daß seit zwei Jahren eine mächtige Verschiebung der Partei- 
Anschauungen stattgefunden hat zu Gunsten des von der Staatsregierung 
jetzt adoptierten Verfahrens. Der ablehnende Standpunkt des Hrn. Justizrat 
Adams ist für die Staatsregierung sehr bedauerlich; aber sie kann sich nicht 
entschließen, unter Anerkennung seiner Gründe der Kommissions- fassung die 
Zustimmung zu versagen. Der Wegfall veränderter Fixierung des Ein- 
spruchsrechts ist bei der Stimmung der Parteien im Hause zur Zeit nicht 
zu verhindern; aber auch ohne diesen Art. 4 ist die Vorlage, namentlich 
bezüglich des Art. 3, betreffend die Erleichterung der Vorbildung, für die 
Staatsregierung von solchem Werte, daß sie ihre Genehmigung aufs nach- 
drücklichste befürworten muß. Die Argumentationen des Hrn. Dr. Dove 
gegen den Bischofsparagraphen sind ja keineswegs von leichtem Gewichte; 
weshalb aber angesichts der seit Jahrhunderten offen daliegenden Polilik der 
Hohenzollern auf diesem Grenzgebiete zwischen staatlicher und kirchlicher 
Machtsphäre bei ihm und seinen Freunden eine gewisse Angst besteht, daß 
den Kronrechten Abbruch geschehen möchte, kann ich nicht absehen. Mit der 
Aufhebung des Kulturexamens nach badischem Vorbild treten wir auf einen 
Boden, der sich in Baden und Hessen bereits als zuverlässig bewährt hat. 
Die Vorlage entspricht also selbst in ihrer rudimentären Gestalt, nach der 
Meinung der Staatsregierung, ihrem Zweck, eine weitere bedeutsame Etape 
auf dem Wege zum konfessionellen Frieden zu bilden. Dagegen erklärt sich 
Beseler entschieden gegen das Gesetz, namentlich gegen den Bischofspara- 
graphen desselben: Hr. Dr. Windthorst sagt allerdings, es sei zur Wieder- 
herstellung des Friedens unerläßlich, und — Hr. Dr. Windthorst ist ein
	        
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