104 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 30.)
Innungsgesetz vom 18. Juli 1881 und die fakultativen Innungen
bis Ende 1885 auszunützen und bis zu Ablauf dieser Frist von
allen weiteren Anträgen auf Abänderung der Gewerbeordnung, mit
Ausnahme der Einführung von Legitimationen für Arbeiter jeden
Alters und Berufes, Abstand zu nehmen, ab, und beschließt dagegen
mit 252 gegen 54 Stimmen:
„Die in letzter Zeit ins Leben getretenen gesetzlichen Bestimmungen
über das Innungswesen, sowie das in Folge derselben herausgegebene
Normal-Innungsstatut können den deutschen Handwerkertag nicht veranlassen,
von seiner „Forderung der Abänderung der deutschen Gewerbeordnung ab-
zulassen. Der allgemeine deutsche Handwerkertag erklärt, daß nur von
einer vollständigen Revision der Reichs-Gewerbeordnung Hilfe zu erwarten
ist, wenn diese Revision nach folgender Richtung geschieht: 1) Jeder selbst-
ständige Handwerker ist verpflichtet, der am Ort oder im Bezirke be-
stehenden Fachinnung beizutreten; dieselbe ist mit Beitritts- und Beitrags-
pflichten auszustatten. 2) Die Berechtigung zum Betriebe eines Handwerks
ist abhängig zu machen von dem Beitritt zu einer für das gleiche oder ver-
wandte Gewerbe bestehenden Innung und der vorher bestandenen, durch
Gesetz eingeführten obligatorischen Meisterprüfung. 3) Die Pflicht
zur Führung eines Arbeitsbuches wird auf alle Gesellen, Gehilfen etc.
ausgedehnt, ohne eine Altersgrenze festzusetzen. Die Erteilung ist abhängig
zu machen von der vorher bestandenen obligatorischen Gesellen-
prüfung und einer ordnungsmäßig zurückgelegten Lehrzeit. 4) Dem
Handwerk ist durch die Einführung von Handwerkerkammern eine legi-
tlime Vertretung und obere Aufsichtsbehörde zu geben. Nur auf solcher
Grundlage können mit obligatorischen Rechten ausgestattete Innungen eine
heilsame Wirkung ausüben und den deutschen Handwerkerstand befähigen,
den an ihn gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Wenn der Hand-
werkerstand die Bildung von Innungen auf Grund der bestehenden gesetz-
lichen Bestimmungen nicht von der Hand weist, geschieht dies in der Hoff-
nung, durch die hiedurch erzielte engere Verbindung die oppositionelle
Tätigkeit zu kräftigen und an der Hand der vorgesetzten Behörden den
Beweis zu liefern, daß auf solche Weise die gewünschten Erfolge niemals
erzielt werden können, und unter der festen Erklärung, die nun seit
einer langen Reihe von Jahren aufrecht erhaltene Opposition gegen das jetzt
zu Recht bestehende Gewerbegesetz so lange energisch fortzuführen, bis die
gerechten Forderungen des deutschen Handwerkerstandes Erfüllung gefunden
haben."
Die Gegner der Zwangsinnungen läugnen ihrerseits nicht, daß
der Magdeburger deutsche Handwerkertag seit vielen Jahren zum ersten-
male wieder das Bild einer einigermaßen imposanten Handwerkerversamm-
lung darbot. Wohl hätten auch die extremsten Redner anerkannt, daß an
einen sofortigen Übergang zu Zwangsinnungen schon im Hinblick auf die
parlamentarische Lage nicht zu denken sei, und man habe es nicht abgelehnt,
mit dem Innungsgesetz des vorigen Jahres einstweilen einen Versuch zu
machen (allerdings unter der ausdrücklichen Erklärung, daß man dies nur
deshalb tue, um auch der Regierung die gänzliche Zwecklosigkeit eines
solchen Versuches ad oculos zu demonstrieren); aber Kern und Wesen der
gefaßten Beschlüsse ruhen darin, daß die obligtkorische Innung als die ein-
zige Möglichkeit, zu einer brauchbaren Organisation des Handwerkerstandes
zu gelangen, bezeichnet wurde. „Die große Hauptschwierigkeit, wieder