Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12—.I5.) 111
schwierige Situation gebracht hat, hier das Monopol an sich, ohne den vor-
gängigen Nachweis des Bedürfnisses, auf den gerechnet war, zu vertreten.
Wenn ich hier anwesend gewesen wäre, und wenn ich überhaupt nach meinem
Gesundheitszustande im stande gewesen wäre, die Geschäfte, die ich herbei-
führe, zu vertreten, würde ich Seiner Majestät die Auflösung des preußischen
Landtags geraten haben, da wir die Feststellung der Bedürfnisfrage vor
allem brauchten. Es würde daraus die Notwendigkeit hervorgehen, den Land-
tag anfangs August wieder zu berufen, und wir würden dann der heutigen
Verhandlung noch überhoben gewesen sein, indem die Forderung des Monopols,
ohne Anerkennung der Bedürfnisfrage, keinen Sinn und keine Bedeutung
hat. Ist kein Bedürfnis vorhanden, so brauchen wir keine neuen Steuern.
Es handelt sich also zunächst um die Frage, ob ein Bedürfnis vorhanden
ist. Wird die bejaht, so werden wir weitere Anträge zu stellen haben; wird
sie verneint, so ist ja alles in dieser besten der Welten ganz vortrefflich, wir
brauchen uns nicht weiter zu bemühen, und ich bin der für mich sehr un-
bequemen weiteren Sisyphusarbeit gegenüber dem passiven Widerstand oder
der dilatorischen Behandlung durch die Fraktionen überhoben, was ja für
meine Jahre und meinen Gesundheitszustand mit Dank anzunehmen ist.
Aber ich bin durch die Versagung der Klarlegung von Seiten des preußi-
schen Landtages leider in der Notwendigkeit, Ihnen die Motive, die den
König von Preußen nötigen, im Interesse seiner notleidenden Unterthanen
vom Reiche die Eröffnung der Steuerquelle, die er seiner Zeit an das Reich
abgetreten hat, zu verlangen, zu fordern, zu erbitten — ich bin in der Not-
wendigkeit, die Motive dafür kurz auseinanderzusetzen. Dieselben liegen
erstens in dem Vorhandensein einer Steuer in Preußen, welche ich als den
Rest früherer Zeiten, des Feudalstaates, bezeichne, der Klassensteuer, des
Kopfgeldes, der Besteuerung der Person, des Lebens, des Atmens, der Be-
steuerung der Existenz ohne Rücksicht auf irgend ein Objekt, an welches die
Leistungskraft sich heftet, und ohne eine bestimmte Einnahme, welche mit
der Steuer verbunden ist. Eine ähnliche — ich kann wohl sagen barba-
rische — Einrichtung in steuerpolitischer Beziehung existiert außer in Preußen
und einigen ihm anliegenden norddeutschen Staaten meines Wissens nur noch
in Rußland in Gestalt des Kopfgeldes und in der Türkei; aber auch dort
nur für die unterworfenen Völkerschaften dafür, daß sie überhaupt noch am
Leben gelassen sind. In Rußland scheint man doch durch die Tatsache, daß
die zivilisierten Nationen in dem Fortschritt der Zivilisation diesen Rest
verschollener Zeiten von sich längst abgestreift haben, jetzt auch zu der Über-
zeugung gekommen zu sein — Sie werden mit mir die telegraphische Nach-
richt gelesen haben, daß die russische Regierung den kaiserlichen Befehl er-
lassen hat, betreffend die Aufhebung der Kopfsteuer. Und doch war sie in
Rußland lange nicht so drückend wie bei uns, allerdings zu einem hohen
Satze, aber durch Vermittelung der Gemeinden; die Gemeinden waren die
Steuerzahler, die Gemeinden hatten ihrerseits die Unterverteilung und waren
in der Lage, schonend zu handeln und die Steuerexekutionen zu vermeiden.
Die Klassensteuer, an der wir allein unter den zivilisierten Nationen hier-
nach noch festhalten, trägt meines Erachtens in sich die Unmöglichkeit für
die Steuerbehörde, eine gleichmäßige gerechte Verteilung. der Steuern zu be-
wirken. Sie haben heutzutage doch noch zirka 5 Millionen besteuerte Po-
sitionen in Preußen — und können in diesen Massen, in den unteren wirt-
schaftlichen Stufen ganz unmöglich die Verhältnisse des einzelnen Haus-
haltes, des einzelnen Mannes, seine Erwerbsverhältnisse richtig beurteilen;
seine Gesundheitsverhältnisse, Familienverhältnisse, die lokalen Ausgaben,
zu denen er wegen seiner besonderen Stellung genötigt ist, das alles entzieht
sich dem Urteil der Behörde; letztere hat nur Kriterien, die nach allgemeiner