Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 2.) 143 
ultramontan-konservative Koalition bestanden, angesichts deren ein 
energisches Aufraffen der liberalen, und  insbesondere der national-liberalen 
Partei vonnöten sei, wenn anders die bereits eingetretene rückläufige Be- 
wegung in unserem politischen Leben wieder eingedämmt werden solle. Bis 
jetzt sei jene Koalition noch nicht sehr fruchtbar gewesen, was darin seinen 
Grund habe, daß keine der auf einander angewiesenen Parteien der anderen 
traue. Aber trotzdem sei es doch für die Zukunft notwendig, dem sich mit 
der Zeit steigernden Einfluß einer solchen Verbindung seitens aller Liberalen 
entgegenzutreten. Die Aufgaben in dieser Beziehung bezögen sich zuerst auf 
die finanziellen Fragen. Daß unsere Steuergesetzgebung reformbedürftig, 
sei ja ganz richtig, indessen sei ein gewaltiger Umsturz unseres ganzen 
Steuersystems deswegen noch lange nicht notwendig, sondern es genüge, daß 
die in den vier untersten Stufen der Klassensteuer Eingeschätzten von allen 
direkten Steuern befreit würden, daß ferner bei der Besteuerung die Ein- 
künfte aus den berufsmäßigen Erwerbsquellen von den Einnahmen aus 
Kapital, Zinsen etc. abgesondert behandelt würden (Rentensteuer), endlich daß 
ein Teil der Grund- und Gebäudesteuer an die Kommunen überwiesen würde. 
Im übrigen könne es den Gemeinden überlassen bleiben, erforderlichen Falles 
durch Erhebung von Steuern auf Konsumgegenstände einer übermäßigen Er- 
höhung der direkten (Gemeinde-)Steuern bei sich vorzubeugen. Als eine natio- 
nale Aufgabe müsse es erscheinen, den Ausgabebedürfnissen des Staates durch 
ein kombiniertes Einnahmensystem. bestehend aus direkten Steuern und in- 
direkten Abgaben, also Zöllen u. s. w., zur Befriedigung zu verhelfen. In 
Bezug auf diese letzteren Einnahmequellen sei ein Widerstreit der Meinungen 
innerhalb der liberalen Partei ausgebrochen, der in einer Art zum Austrag 
gebracht wurde, welcher die Partei schwer schädigen mußte; ganz unnötiger 
Weise habe die gegensätzliche Ansicht auf diesem Gebiete zu einer politischen 
Trennung (Sezession) geführt. Einer der wesentlichsten Vorteile unseres 
früheren Zollvereinswesens sei die Stabilität der Zollbestimmungen desselben 
gewesen. Es sei auch jetzt notwendig, daß man der einmal geschaffenen wirt- 
schaftlichen Gesetzgebung Zeit zur Entwicklung lasse. Nachdem die erwähnte 
Spaltung innerhalb der liberalen Parkei Tatsache geworden, habe die Re- 
gierung notgedrungen nach stabileren Bundesgenossen sich umgesehen. Da- 
durch sei es gekommen, daß die im Jahre 1879 notorisch kampfesmüde ge- 
wordene ultramontane Partei nochmals neues Leben in die den Dienst 
fast versagenden Reihen gebracht habe. Der ganze Kampf mit der Kurie 
drehe sich um die Anzeigepflicht, und wenn die Regierung nur noch kurze 
Zeit auf dem früheren Wege fortgefahren wäre, so würde die Kurie in dieser 
Beziehung, wie sie dies faktisch in anderen Staaten bereits tue, auch dem 
preußischen Staate entgegengekommen sein. Dann hätten sich die in der 
Maigesetzgebung etwa wirklich vorhandenen Schärfen leicht beseitigen lassen. 
Bezüglich der Schule müsse der Staat, getreu der Verfassung sich stets das 
Aussichtsrecht wahren, ebenso müsse die Gemeinde stets ihre Einwirkung auf 
das Schulwesen sich sicherstellen. Der Kirche bleibe es unbenommen, für 
die Leitung des Religionsunterrichts zu sorgen. Alle Bestrebungen der 
Kirche gegen die hier bezeichneten Rechte des Staates und der Kommune 
seien zu bekämpfen. Nun seien leider auf diesem Gebiete die Schranken für 
den Einfluß der Kirche und des Staates nicht mit genügender Schärfe ge- 
setzlich erkennbar gemacht. Deßhalb sei der Einfluß der Verwaltungsbe- 
hörden ein großer, und gerade auf diesem Kreuzungspunkte könnte eine kon- 
servativ-ultramontane Koalition ungemein gefährlich werden. Zum Glücke 
seien wenigstens die protestantisch-orthodoxen Konservativen eben auf diesem 
Gebiete schon mißtrauisch geworden und befürchteten, die Kosten allein tragen 
zu müssen. Eine solche Befürchtung sei allerdings sehr gerechtfertigt; denn
	        
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