146 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mitte Juli.)
Standpunkte der Vertretung der Handelsinteressen ihres Kreises. Hier kann
und muß sie zur Frage der Einwirkung des neuen Zolltarifs auf die Ent-
wicklung und das Gedeihen des Handels Stellung nehmen, und gelangt nach
objektiver Prüfung der Verhältnisse, auf Grund ihrer zahlreichen Wahr-
nehmungen während der vorwürfigen Berichtsperiode, im Einklang mit den
diesem Bericht angereihten Einzelberichten, bei deren Einholung sie beson-
deres Gewicht auf, den Einfluß der Zollreformen legte, zu einem negativen
Resultat, zu der Überzeugung, daß die Hoffnungen, welche sie selbst früher
an jene Reformen knüpfte, für den Handel ihres Bezirks, der vorwiegend
Exporthandel ist, sich entweder gar nicht, oder doch keineswegs in einer
Weise und einem Umfang erfüllten, daß jenen, einen Bruch mit der voran-
gegangenen Zollpolitik des Deutschen Reichs involvierenden Reformen der
Vorzug vor der gütlichen Vereinigung der Interessen der auswärtigen Na-
tionen, mit welchen wir in engen Handelsverbindungen stehen, mit den
unserigen durch die Weiteraus- bildung bestehender und Schließung neuer
Handelsverträge zu geben wäre.“ Andere Handelskammern, wenn auch
freilich im ganzen nur die Minderheit, sind dagegen mit der neuen Handels-
politik ganz einverstanden. Und zwar lauten die Urteile oft selbst an angren-
zenden Bezirken vollständig entgegengesetzt. Dafür geben ein charakteristisches
Beispiel gerade die Handels- und Gewerbekammern von Oberfranken (Bayreuth)
und Miltelfranken (Nürnberg), indem erstere den Einfluß des neuen Zoll-
tarifs nicht nur als einen günstigen bezeichnet, sondern weiter sagt, daß
seine wohltätigen Wirkungen noch größer gewesen sein würden, wenn die
Zollerhöhungen nicht vielfach zu geringfügig und unbedeutend gewesen wären;
weitere Zollerhöhungen werden daher gewünscht.
— Juli. (Preußen.) Die Agitation für die im Spätherbst
bevorstehenden Landtagswahlen beginnt in Fluß zu kommen und ist
namentlich seitens der konservativen Partei bereits eine sehr leb-
hafte. In den Provinzen, zumal in Schlesien, werden Bauernvereine
gegründet, und man denkt in Berlin schon an einen „Deutschen
Zentral-Bauernverein“. Bisher sind es indes vorzugsweise adelige
Großgrundbesitzer, welche „Bauernvereine“ gegründet haben. Der
Reichskanzler unterstützt inzwischen die Tendenz nach Kräften.
Der Minden-Ravensbergische Bauernverein beschließt unter
dem 17. Juli eine Adresse an den Reichskanzler, in der es heißt: „Auf
Eure Durchlaucht setzen wir die beste Zuversicht, daß Sie, unbeirrt durch
alles Geschrei und Getobe derer, die nur sich, nicht des Vaterlandes Wohl
meinen, Ihren Weg weiter gehen, die äußeren Feinde fern halten und im
Innern jedem zu seinem Rechte verhelfen, den Schwachen gegen den Starken
zu schützen und dem Übergewichte der Kapitalisten ein Ende zu machen, die
Steuerlast in Staat und Gemeinde durch weise Sparsamkeit ermäßigen und
gerechter verteilen und im Frieden mit der Kirche, Altar und Thron schirmen
und festigen werden Eurer Durchlaucht geben wir hiermit die feierliche
Versicherung, daß wir in all diesen Bestrebungen gleich allen übrigen wohl-
gesinnten Männern im ganzen Volke getreu zu Ihnen stehen und Gott
bitten, daß er es Ihnen wohl gelingen lasse.“ Fürst Bismarck erläßt
darauf an den Frhrn. v. d. Reck folgende Antwort: „Barzin, 31. Juli 1882.
Die Adresse des Minden-Ravensberger Bauernvereins vom 17. d. M. habe
ich Ihrem Wunsche gemäß Sr. Majestät dem Kaiser und Könige vorgelegt,
und freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß Se. Majestät in einem