Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Aug. 9.) 151
meint er: Er habe den Kulturkampf als ein Naturereignis betrachtet,
welches infolge der gewaltigen Beräuderungen Deutschlands und des Papst-
tums eingetreten sein. Gegen die frühere Taktik des Zentrums seien die
schärfsten Maßregeln geboten gewesen, jetzt aber ständen wir einem versöhn-
lichen Papste gegenüber. Daß ein großer Teil der katholischen Bevölkerung
endlich der Verwilderung entgegen gehe, könne wohl der italienischen Prä-
latur, nicht aber unserer Regierung gleichgültig sein. Übrigens sei auch
zuzugeben, daß die Maigesetzgebung eine Menge Fehler enthalte. Eine Fort-
setzung des Kulturkampfes würde unter diesen Umständen nur der Fort-
schrittspartei zu gute kommen, die ja bereits ihren Pakt mit dem Zentrum
abgeschlossen habe.
9. August. (Deutsches Reich.) Der Kaiser kommt, wie
alljährlich, nach vollendeter Badekur in Gastein mit dem Kaiser
von Österreich-Ungarn in Ischl zusammen.
9. August. (Preußen.) In Elberfeld spricht sich auch die
nationalliberale Partei für ein Zusammengehn mit der Fortschritts-
partei bei den Wahlen im dortigen Wahlkreis aus, nachdem sich
der vorgeschlagene fortschrittliche Kandidat, Landrichter Westerburg-
Barmen über seine Stellung zu den großen Hauptfragen in einem
sehr gemäßigten Sinne und ganz im Gegensatze zu den spezifisch
Richter'schen Tendenzen ausgesprochen hat. Der Beschluß ist jedoch
nicht ganz im Sinne Hänels, indem er eine ausgesprochene Spitze
gegen Richter hat, und weil sich der nat.-lib. Abg. v. Eynern vorher
mit Nachdruck nicht für eine große liberale, sondern für eine große
Mittelpartei gegen die Extreme der Stöcker nach rechts und der
Richter nach links erklärt hat.
Die von Hrn. v. Eynern abgegebene Erklärung lautet: „Meine
Ansichten über die Parteiverhältnisse in unserem Lande gehen dahin: Gegen-
über den Gefahren, welche dem deutschen Reich aus dem stetigen Anwachsen
des Ultramontanismus, des Partikularismus und der radikalen Elemente
des Sozialismus drohen, erachte ich, soweit diese Gefahren durch die Ein-
wirkung der parlamentarischen Körperschaften zu beseitigen sind, die An-
bahnung der Bildung einer großen Mittelpartei für erforderlich. In diese
Kombination schließe ich nach rechts die gemäßigt Konservativen, nach links
die Sezessionisten und die Anhänger des Herrn Hänel ein. Ich schließe aus
nach rechts den Herrn Hofprediger Stöcker und dessen Anhang, nach links
Herrn Eugen Richter und dessen Anhang. Beide sind, so verschieden die
Grundsätze sein mögen, von welchen sie ausgehen, für ein Wahl- und par-
lamentarisches Bündnis mit den Ultramontanen und Partikularisten reif
und rufen durch die agitatorische Art ihrer Einwirkung auf die unteren
Volksklassen Geister hervor, deren sie nicht Herr bleiben können. Ich habe,
soweit meine Kenntnis der Personen und Dinge reicht, bei dem allgemein
vorhandenen guten Willen der patriotischen Unterordnung unter das Ganze
die Überzeugung, daß nach Besiegung des kleinlichen und zänkischen Fraktions-
geistes zwischen den Anhängern der genannten Richtungen gegenseitige Nach-
giebigkeit geübt und damit eine Übereinstimmung in allen entscheidenden
grundlegenden Fragen erzielt werden kann. Gehen wir den bisherigen und
jetzigen Weg weiter, so treiben wir meiner festbegründenten Ansicht nach mit