Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

170 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 18.-19.) 
der extremen politischen Parteien und die gesteigerte  Leidenschaftlichkeit in 
beiden Lagern bergen in sich große Gefahren für die Entwickelung unseres 
Staatslebens. Wir werden es nach wie vor als unsere patriotische Pflicht 
betrachten, nach einer Ausgleichung der streitenden Gegensätze zu streben und 
nach rechts und links vermittelnd zu wirken. Nicht durch die schroffe Schei- 
dung in eine konservative und eine liberale Partei erwarten wir die gedeih- 
liche Entwickelung unseres verfassungs- mäßigen Lebens. Wir halten eine 
solche Parteibildung weder für historisch berechtigt, noch unter den bestehen- 
den parlamentarischen Verhältnissen für möglich. Je heftiger der Kampf 
gegen die politischen Mittelparteien im gegenwärtigen Moment geführt 
wird je eindringlicher deren Vernichtung als Heilmittel für die Zer- 
fahrenheit der Parteizustände dem Volk angepriesen wird — um so ruhiger 
und fester blicken wir der Zukunft entgegen, wo die Erkenntnis obsiegen 
wird, daß starke Mittelparteien für das Gedeihen des jungen Deutschen 
Reiches und Preußens notwendig sind“ 
18. September. (Preußen.) Ein Städtetag der Provinz 
Brandenburg lehnt einen Antrag, welcher die Gestattung der Wieder- 
einführung der Schlachtsteuer und die Beseitigung der einer Ein- 
führung kommunaler Getränkesteuern auf Bier, Branntwein und 
Wein entgegenstehenden Beschränkungen verlangt, nach eingehender 
Debatte gegen nur wenige Stimmen ab. 
18. September. (Bayern.) Der Plan der ultramontanen 
Partei in München, durch eine energische Agitation gelegentlich der 
neuen Inskription für die Volksschulen der Stadt die Eltern katho- 
lischer Schüler zu veranlassen resp. moralisch zu zwingen, ihre Kin- 
der, die bisher die Simultanschulen besucht haben, denselben zu ent- 
ziehen und massenhaft den katholischen Konfessionsschulen zuzuführen, 
um diese zu überfüllen, und dadurch die Schulbehörden zu zwingen, 
ihnen in den Simultanschulhäusern Platz zu machen, scheitert. 
Die Zahl der Inskriptionen für die Simultanschulen bleibt nur sehr 
unbedeutend hinter derjenigen des vorigen Jahres zurück. Es werden im 
Ganzen 23.129 Kinder (im Vorjahre 21.282) inskribiert; hiervon in den 12 
katholischen Kofessions- schulen 16.064, in den 3 protestantischen Konfessions- 
schulen 1.464 und in den 4 Simultanschulen 5.601, sohin in letzteren nahezu 
der vierte Teil aller schulpflichtigen Kinder. 
Gleichzeitig siegt in Bamberg bei den Gemeindewahlen die 
vereinigte liberale und demokratische Partei über die ultramontane. 
Auch in der anderen fränkischen Bischofsstadt, Würzburg, erscheint 
die langjährige Herrschaft der ultramontanen Partei erschüttert. 
19. September. (Preußen.) In Kassel protestiert die Bür- 
gerschaft nachdrücklich gegen das Treiben der dortigen Antisemiten. 
89 geachtete Bürger und Beamte, an ihrer Spitze die beiden Bürger- 
meister der Stadt und 19 Mitglieder des Stadtrats und des Bürgeraus- 
schusses, veröffentlichen eine Erklärung, worin sie unter Hinweis auf den 
schon im März 1881 erlassenen Protest gegen das wüste und schamlose 
Treiben der antisemitischen Agitatoren von neuem feierlichst Verwahrung
	        
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