Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Da deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 19.) 171 
gegen diesen alles Maß übersteigenden Unfug einlegen. Alle Beschwerden 
gegen die beiden in Kassel gegründeten Hetzblätter „Geldmonopol“ und 
„ Reichsgeldmonopol" genannt, haben bis her noch nicht zum Ziele geführt. 
So müssen denn die Unterzeichner des Protestes sagen: „Die Maßlosigkeit 
der betreffenden Blätter läßt den angeblichen Zweck, wirkliche soziale Miß- 
stände zu beseitigen, völlig zurücktreten gegen eine Bekämpfung des Juden- 
tums an sich, bei welcher man sich nicht scheut, sowohl einzelne durchaus 
ehrenwerte Mitbürger mit Schmutz zu bewerfen, als auch gegen das Glau- 
bensbekenntnis und die Gesamtheit der Israeliten die unerhörtesten Beleidi- 
gungen und Verdächtigungen fortwährend zu wiederholen und so einen Haß 
zu erregen, welcher zu den verderblichsten Folgen führen kann. Wenn wir 
hiegegen laut und öffentlich Verwahrung einlegen, so geschieht dies nicht 
sowohl, um von unseren eigenen Gesinnungen Zeugnis abzulegen, als viel- 
mehr deshalb, um alle diejenigen, welche den von uns verurteilten Bestre- 
bungen nicht ablehnend gegenüberstehen, zu ernstlicher Erwägung über das 
Unsittliche und Gefährliche dieser Agitation aufzufordern, welche, wenn sie 
gelänge, ein unberechenbares Unglück über unser Vaterland heraufbeschwören 
würde. Einig mit allen wohlgesinnten jüdischen Mitbürgern in Bekämpfung 
wirklicher Mißstände wollen wir durch Wort und Tat dahin streben, unserer 
Vaterstadt den schwer gefährdeten konfessionellen Frieden zu erhalten, auf 
welchen sie bisher stolz sein konnte." 
19. September. (Deutsches Reich.) Gelegentlich der Ver- 
sammlung der deutschen Naturforscher in Eisenach spricht sich der 
berühmte Reisende Gerhard Rohlfs in der Sektion für Geographie 
und Ethnologie sehr einläßlich über die Kolonieenfrage aus. 
Rohlfs geht davon aus, daß seit der Gründung des deutschen Reiches 
und Hand in Hand mit der steigenden Auswanderung der Ruf nach Kolo- 
nisation in Deutschland laut geworden sei und immer lauter werde. Das 
Übel liegt auf der Hand. Der Hauptstrom der deutschen Auswanderung, 
der nach Nordamerika geht, ist wirtschaftlich und national für das Mutter- 
land verloren und von der Auswanderung nach Australien gilt dasselbe 
wie von der Auswanderung nach Nordamerika. Die Deutschen anglisieren 
sich schon in der zweiten Generation. Allein auch das Resultat, zu dem 
Rohlfs gelangt, ist wenigstens für die große Mehrheit der Auswanderer sehr 
wenig befriedigend. Nach Rohlfs kann es sich gar nicht mehr um die 
Gründung von Ackerbaukolonien handeln; dazu ist es zu spät, die 
Welt ist weggegeben. Der ganze amerikanische Kontinent ist ein „Kräutlein 
rühr' mich nicht an- und von Ausstralien und Afrika gilt dasselbe. Es 
kann sich nur noch darum handeln, Handelsfaktoreien zu gründen, 
„Kultivation" zu treiben, wie Hubbe-Schleiden es nennt, d. h. Gebiete zu 
erwerben, in denen deutsches Kapital nutzbar gemacht werden kann, indem 
mit fremden Kräften Ackerbau betrieben wird, wie es die Engländer in In- 
dien, die Holländer in Java tun. Solche Punkte sind nach Rohlfs noch 
zu haben, ohne daß eine Kollision mit einer fremden Macht zu befürchten 
wäre. Jedoch kann die Erwerbung nur durch private Tätigkeit erfolgen 
und eine staatliche Einmischung ist, wie die politischen Verhältnisse jetzt 
liegen, nicht denkbar. Welches sind nun die der deutschen „Kultivation“ 
noch zur Verfügung stehenden Gebiete, nach dem wie gesagt, Amerika und 
Australien nicht mehr anzurühren sind? Rohlfs nennt zunächst Neu-Guinea, 
eine Insel, deren Klima mit Unrecht in schlechtem Rufe stehe. Das Land 
ist nur wenig erforscht; wir wissen nur, daß es Berge und Hochebenen von 
mehr als 4.000 m hat, und unter gleichem Breitengrade leben in Abessinien
	        
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