Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

172 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sepl. 20.—21.) 
in 2.000 bis 3.000 m Höhe Deutsche in den angenehmsten, klimatischen Ver- 
hältnissen. Rohlfs will indes auch nicht etwa einem Strom deutscher Auswan- 
derer raten, nach Neu-Guinea zu ziehen, sondern er glaubt, daß Kaufleute 
dort Faktoreien, und zwar mit Waffen versehen. errichten sollten; denn die 
Einwohner sind kriegerisch und gefährlich. Der Besitzergreifung könnte aber 
keine Macht Widerstand entgegensetzen, denn der Anspruch der Holländer auf 
die Insel ist ein rein theoretischer. In Asien hält Rohlfs nur noch Korea 
geeignet für die Anlage von Faktoreien, dessen Regierung bemüht sei, euro- 
päische Kräfte ins Land zu ziehen. Es bliebe noch Afrika übrig, auf das 
alle Mächte jetzt ihr Augenmerk richten. England hat seine Hand auf 
Ägypten gelegt und wird es nach der Überzeugung von Rohlfs nie wieder 
herausgeben. Frankreich wird als Kompensation Tunis erhalten, Italien 
wird mit Tripoltanien abgefunden werden und für Deutschland könnte nur 
Marokko als Ackerbaukolonie erworben werden; aber keine deutsche Regierung 
werde sich auf ein solches Abenteuer einlassen. Zur Errichtung deutscher 
Handelsfaktoreien dagegen sei Marokko der englischen, französischen und bel- 
gischen Konkurrenz wegen nicht geeignet. Dagegen empfiehlt Rohlfs an der 
Westküste Afrikas zwei Punkte, auf denen jeder Deutsche ungehindert seine 
Flagge aufhissen und das Land für das seine erklären könne; die 
mündung und die Cameronsgegend, die das reiche Zentralafrika als 
Hinterland haben. Das Land ist noch frei; Engländer und Franzosen be- 
ginnen dort Faktoreien zu gründen. Ebenso ist die Somaliküste auf der 
Ostseite noch frei, freilich das Land, in dem der Reisende von der Decken mit 
einer großen Anzahl Deutscher ermordet worden ist, ohne daß sein Tod bis 
heute gerächt worden wäre. 
20. September. (Preußen.) Fortgang der Wahlagitation. 
Die halbamtliche „Prov.-Korr.“ lehnt das Verlangen der Parteien, 
die Regierung möge bez. der Steuerreform mit einem klaren Pro- 
gramm für die Wahlen hervorzutreten, ab: 
Es liege dazu sachlich keine Notwendigkeit vor; die allgemeinen Ziele 
der Regierung seien in amtlichen Kundgebungen, Parlamentsreden und 
sonstigen schriftlichen und mündlichen Äußerungen so oft dargelegt, daß jeder, 
welcher sie kennen wolle, darüber genau unterrichtet sei. Die Regierung 
halte an diesen Zielen fest. Wenn es nicht gelinge, dieselben in dem ge- 
wünschten Umfange durchzuführen, werde die Regierung stückweise und all- 
mählich vorgehen. Die offiziösen Blätter deuten auch bereits an, daß sie 
darauf verzichtet habe dem Landtage neuerdings wie in den beiden letzten 
Jahren ein umfassendes Verwendungsgesetz vorzulegen. 
21. September. (Elsaß-Lothringen.) Der gew. Kassier 
der Straßburger Tabakmanufaktur Strekert wird, nachdem er wegen 
angeblicher Unterschlagung von Staatsgeldern ein volles Jahr in 
Untersuchungshaft gesessen, schließlich unter Verurteilung des Staats 
in die Kosten freigesprochen. Die Regierung ordnet in Folge des 
Prozesses eine Untersuchung der Buchführung der Manufaktur an; 
der Direktor derselben, Roller, wird inzwischen suspendiert. 
Die Gegner des Tabakmonopols schlagen darüber ein wahres Triumph- 
geschrei an: „Das Resultat des Prozesses — meinen sie — ist von unterge- 
ordneter Bedeutung gegenüber dem, was dieser Prozeß sonst an den Tag 
gebracht hat. In Wirklichkeit hat nämlich nicht der ehemalige Kassierer der
	        
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