174 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 24—25.)
Resolutionen über die Fabrikgesetzgebung: Die Fabrikgesetz-
gebung ist unter gleichzeitiger Anstrebung internationaler Vereinbarungen in
folgenden Punkten zu ergänzen bezw. abzuändern: 1) durch Einführung
eines Normalarbeitstages von zehn Stunden; 2) durch das Verbot der Ar-
beit von Kindern in Fabriken während der Dauer der Schulpflicht; 3) durch
das Verbot der Frauenarbeit sechs Wochen vor und nach dem Wochenbett;
4) durch das Verbot der Nachtarbeit für Frauen; 5) durch das Verbot der
Sonntagsarbeit insoweit nicht dringende Bedürfnisse des täglichen Verkehrs
zu befriedigen sind oder spezielle Ermächtigung der Verwaltungsbehörde ein-
geholt ist: 6) durch strenge Vorschriften zum Schutze von Leben und Gesund-
heit der Arbeiter im allgemeinen und speziell in den gesundheitsgefährlichen
Industriezweigen mit scharfen Strafen und Entschädigungsverpflichtung für
diejenigen Betriebsunternehmer, welche gegen diese Bestimmungen verstoßen;
7) durch Vermehrung der Fabrikinspektoren und Erweiterung der Befugnisse
derselben. Resolutionen über die Steuerfrage: Die Generalversamm-
lung erklärt: 1) Die vom Reichskanzler geplante Ersetzung direkter Steuern
durch neue indirekte Steuern ist als eine erhöhte Belastung der weniger be-
mittelten Klassen zu Gunsten der Wohlhabenden und Reichen absolut zu ver-
werfen. 2) Hinsichtlich der direkten Steuern ist behufs Entlastung der
weniger bemittelten Klassen eine progressive Einkommen- und Vermögens-
steuer unter Freilassung eines Existenzminimums anzustreben. 3) Die Un-
gerechtigkeit und Ungleichheit, welche in der jetzigen Bemessung und Ausfuhr-
vergütung bei der Zucker- und Branntweinsteuer liegt, ist durch die Ein-
führung der Fabrikatsteuer auf Zucker und Branntwein zu beseitigen. 4) Die
Zölle auf notwendige Lebensbedürfnisse als Getreide, Mehl, Bier, Fleisch,
Schmalz, Petroleum, Holz u. s. w. sind aufzuheben.
24. September. (Preußen.) Parteitag der rheinischen Zen-
trumspartei in Köln.
Windthorst erklärt, unter keinen Umständen dürfe die Zentrumspartei
da, wo sie einen Kandidaten nicht durchsetzen könne, für mittelparteiliche
Elemente stimmen, sondern nur für Parteien, zwischen denen und dem Zen-
trum Berührungspunkte beständen, für die konservative Partei und für einen
ausgeprägten Fortschrittsmann. Steuern will er mehr nicht bewilligen;
wolle man das System der indirekten Steuern erweitern, so sei dies zu er-
wägen, aber dabei zu berücksichtigen, ob auch die unteren Klassen nicht be-
lastet und daß direkte Steuern, etwa die ganze Klassensteuer, aufgehoben würden.
In Betreff der sozialen Frage behauptet er, diese könne nicht gelöst werden,
es sei denn, daß vorher der Kirche die Freiheit wiedergegeben worden wäre.
25. September. (Preußen.) In Berlin konstituiert sich
unter Führung des Stifters des sog. protestantischen Reformvereins
Dr. Kalthoff und unter Mitwirkung mehrerer fortschrittlicher Ab-
geordneter ein „kirchlicher Volksverein“, der nicht religionslos sein
will, aber doch dem linkesten Flügel angehört.
Der neue Verein hat wenigstens für Berlin immerhin einige Bedeutung,
da er sich die im nächsten Monat bevorstehenden Neuwahlen zu den Vertretungen
der protestantischen Landeskirche als Tummelplatz für seine Bestrebungen
ausgesucht hat, um nicht nur die hochkirchliche Partei, welche gegenwärtig
in der preußischen Generalsynode die Herrschaft führt, zu bekämpfen, sondern
auch die freisinnige evangelische Partei, welche diesen Kampf bisher vom
Boden des Protestantenvereins aus geführt hat und welche wenigstens in der