176 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende Sept.)
glimpfungen, welche diese Kirche noch jüngst der evangelischen Trauung zu-
gefügt hat, als eine Anmaßung zurückweisen."
30. September. (Preußen.) Das Organ des Reichskanz-
lers, die „Nordd. Allg. Ztg.“, bestätigt, daß die preußische Regie-
rung von der Wiedervorlegung eines umfassenden Verwendungs-
gesetzes in Preußen Abstand genommen habe und daß auch, nach-
dem das Tabakmonopol abgelehnt worden, andere Vorlagen über
indirekte Steuern nicht in Aussicht ständen. Allein an seinem Ziele
halte der Reichskanzler unentwegt fest und um ihm näher zu kom-
men, müsse im preußischen Landtag und für Preußen die Bedürfnis-
frage entschieden werden, um auf Grund derselben an den Reichstag
das Blatt gelangen zu können, wobei sie erklärt:
„Sollle der preußische Landtag auch diesmal das Bedürfnis in Ab-
rede stellen, so wird die Regierung nicht in der Lage sein, den Notständen
durch Reichssteuern abzuhelfen, sie wird dann die Steuerfrage in statu quo
belassen, bis die Überzeugung zu Tage tritt, daß ein „steuerlicher Notstand“
in Preußen vorhanden sei, oder daß die preußische Regierung sich bei Vor-
aussetzung desselben im Irrtum befand. Wäre letzteres der Fall, worüber
das preußische Volk sich bei den Wahlen schlüssig zu machen hat, so läge
für die Regierung kein Grund vor, den Reichstag mit weiteren Steueran-
sprüchen zu belästigen. Der preußische Landtag hat die Frage, ob Preußen
neuer Einnahmen behufs einer Steuerreform bedarf, ohne Zeitverlust
mit Ja oder Nein zu beantworten.“
— September. (Preußen.) In der Agitation für die be-
vorstehenden Landtagswahlen, die überall sehr lebhaft fortgesetzt
wird, treten namentlich zwei Momente als bedeutsam hervor: die
Polemik der Nordd. Allg. Ztg. gegen die Konservativen und ihre
Presse, die sich der Regierung nicht unbedingt zur Verfügung stellen
wollen, worin man eine eventnuelle Wendung der Regierung nach
der Seite der Mittelparteien hin erblicken will, und der Kampf
zwischen Richter und Hänel, in denen der unduldsame Radikalismus
des erstern immer mehr zu Tage tritt und die bessern Elemente der
Fortschrittspartei selbst abstößt.
Die Polemik der N. Allg. Ztg. gegen eine Reihe hochkonservativer
Organe ist vielfach eine geradezu derbe, beruht indeß im letzten Grunde auf
einem sehr schwachen Fundament. Sie deduziert nämlich fortwährend, daß
nur der Kaiser die Regierungsorgane ernenne, daß daher eine, wenn auch
teilweise, Opposition gegen diese und ihre Anschauungen gegen den Kaiser
selbst gerichtet und somit nicht monarchisch sei. Diese Schlußfolgerung ist
ebenso irrtümlich, wie die von den Linksparteien aufgestellte Theorie vom
reinen Parlamentarismus. Hätte die Nordd. Allg. Ztg. mit ihrer Deduktion
recht, so wäre es unlogisch, daß die Verfassungen Parlamente mit Zustim-
mungs- und Ablehnungsrecht, mit dem Recht der Kontrolle der Staatsver-
waltung, mit dem Rechte, Staatsausgaben und Staatseinnahmen, Steuern
und Budgets zu bewilligen, eingesetzt haben; diese Parlamente an sich und