Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

176 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende Sept.) 
glimpfungen, welche diese Kirche noch jüngst der evangelischen Trauung zu- 
gefügt hat, als eine Anmaßung zurückweisen." 
30. September. (Preußen.) Das Organ des Reichskanz- 
lers, die „Nordd. Allg. Ztg.“, bestätigt, daß die preußische Regie- 
rung von der Wiedervorlegung eines umfassenden Verwendungs- 
gesetzes in Preußen Abstand genommen habe und daß auch, nach- 
dem das Tabakmonopol abgelehnt worden, andere Vorlagen über 
indirekte Steuern nicht in Aussicht ständen. Allein an seinem Ziele 
halte der Reichskanzler unentwegt fest und um ihm näher zu kom- 
men, müsse im preußischen Landtag und für Preußen die Bedürfnis- 
frage entschieden werden, um auf Grund derselben an den Reichstag 
das Blatt gelangen zu können, wobei sie erklärt: 
„Sollle der preußische Landtag auch diesmal das Bedürfnis in Ab- 
rede stellen, so wird die Regierung nicht in der Lage sein, den Notständen 
durch Reichssteuern abzuhelfen, sie wird dann die Steuerfrage in statu quo 
belassen, bis die Überzeugung zu Tage tritt, daß ein „steuerlicher Notstand“ 
in Preußen vorhanden sei, oder daß die preußische Regierung sich bei Vor- 
aussetzung desselben im Irrtum befand. Wäre letzteres der Fall, worüber 
das preußische Volk sich bei den Wahlen schlüssig zu machen hat, so läge 
für die Regierung kein Grund vor, den Reichstag mit weiteren Steueran- 
sprüchen zu belästigen. Der preußische Landtag hat die Frage, ob Preußen 
neuer Einnahmen behufs einer Steuerreform bedarf, ohne Zeitverlust 
mit Ja oder Nein zu beantworten.“ 
— September. (Preußen.) In der Agitation für die be- 
vorstehenden Landtagswahlen, die überall sehr lebhaft fortgesetzt 
wird, treten namentlich zwei Momente als bedeutsam hervor: die 
Polemik der Nordd. Allg. Ztg. gegen die Konservativen und ihre 
Presse, die sich der Regierung nicht unbedingt zur Verfügung stellen 
wollen, worin man eine eventnuelle Wendung der Regierung nach 
der Seite der Mittelparteien hin erblicken will, und der Kampf 
zwischen Richter und Hänel, in denen der unduldsame Radikalismus 
des erstern immer mehr zu Tage tritt und die bessern Elemente der 
Fortschrittspartei selbst abstößt. 
Die Polemik der N. Allg. Ztg. gegen eine Reihe hochkonservativer 
Organe ist vielfach eine geradezu derbe, beruht indeß im letzten Grunde auf 
einem sehr schwachen Fundament. Sie deduziert nämlich fortwährend, daß 
nur der Kaiser die Regierungsorgane ernenne, daß daher eine, wenn auch 
teilweise, Opposition gegen diese und ihre Anschauungen gegen den Kaiser 
selbst gerichtet und somit nicht monarchisch sei. Diese Schlußfolgerung ist 
ebenso irrtümlich, wie die von den Linksparteien aufgestellte Theorie vom 
reinen Parlamentarismus. Hätte die Nordd. Allg. Ztg. mit ihrer Deduktion 
recht, so wäre es unlogisch, daß die Verfassungen Parlamente mit Zustim- 
mungs- und Ablehnungsrecht, mit dem Recht der Kontrolle der Staatsver- 
waltung, mit dem Rechte, Staatsausgaben und Staatseinnahmen, Steuern 
und Budgets zu bewilligen, eingesetzt haben; diese Parlamente an sich und
	        
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