Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 5—9.) 181
Ein Blick auf die Karte lehrt die Wichtigkeit jener zwischen Berlin
und dem Reiche liegenden Stücke. Im Besitz derselben durch die betreffen-
den Aktien war Preußen übrigens schon früher. Die Angelegenheit ist auch
politisch nicht ganz ohne Bedeutung. Die welfische „Germania“ ist denn
auch über den Vorgang sichtlich verstimmt.
5. Oktober. (Preußen.) Wahlaufruf des Vorstandes der
Agrarier-Partei:
"Zunehmende Verschuldung bei abnehmender Rentabilität und ab-
nehmender Wert des Grund und Bodens, das ist die ernste, unhaltbare
Lage der deutschen Landwirtschaft. Durch eine einseitige geldkapitalistische
Gesetzgebung ist dieselbe verursacht, und nur durch eine agrarische Umän-
derung der Gesetzgebung kann dem Übel abgeholfen werden. Nachdem dies
geschehen, wird ein genügender Schutzzoll an Stelle des jetzt beliebten Schein-
schutzzolles, eine gerechte Besteuerung an die Stelle geldherrschaftlicher Steuer-
freiheiten, ein verhältnismäßig niedriger nationaler Zinsfuß an Stelle des
jetzt künstlich erhöhten, sogenannten landesüblichen treten. Hauptsächlich ist
der Bauernstand derjenige Stand, welcher vermöge seiner Kopfzahl noch mit
Aussicht auf Erfolg gegen den völkerwandernden Geldkapitalismus aufkommen
kann. Deshalb ersuchen wir bei der unhaltbaren, gefährlichen Lage der
wirtschaftlichen Zustände die Parteimitglieder, sowie die Gesinnungsgenossen
dringend, daß Vertreter agrarischer Interessen den Vertretern des internatio-
nalen Geldsackes tatkräftig Abbruch tun.“
8-—9. Oktober. (Deutsches Reich.) Der „deutsche Verein
für Wohltätigkeit und Armenpflege“ faßt auf einer Versammlung
in Darmstadt eine Reihe von Resolutionen, in denen er u. A. auf
gesetzliche Einrichtung größerer leistungsfähiger Verbände, wo solche
noch fehlen, dringt; leistungsfähige Gemeindeverbände können bei-
behalten werden. — Gleichzeitig konstituiert sich in Frankfurt ein
Verein gegen Alkoholismus (habituelle Trunksucht).
9—10. Oktober. (Deutsches Reich.) Generalversammlung
des Vereins für Sozialpolitik (der sog. Kathedersozialisten) in Frank-
furt a. M. unter dem Vorsitz des Geh. Rats Nasse aus Bonn.
Der Verein faßt nach einem Beschluß der vorjährigen General-
Versammlung keine formulierten Resolutionen mehr, sondern be-
schränkt sich auf einen Gedankenaustausch, worauf der Vorsitzende
die Ergebnisse der Debatten zusammenfaßt. Da er nicht aus In-
teressenten, sondern vorwiegend aus Männern der Wissenschaft be-
besteht und daher nur sehr bedingt mit der z. Z. herrschenden Schutz-
zollströmung geht, hat er die Gunst der tonangebenden Kreise größten-
teils verscherzt.
9. Oktober. (Preußen.) Die Nationalliberalen erlassen
keinen allgemeinen Wahlaufruf, zum Teil aber solche für einzelne
Provinzen z. B. für die Rheinprovinz, in dem ihre Eigenschaft als
Mittelpartei nachdrücklich betont wird. Auch die Fortschrittspartei