XXII Allgemeine Chronik.
19. Juni. [Deutsches Reich: Preußen.] Der Finanzminister Bitter ver-
langt und erhält seine Entlassung und wird durch den Reichsschatz-
sekretär Scholz ersetzt.
[Österreich-Ungarn: Österreich.] In Triest erringt die italienische
Partei im Stadtrat die Oberhand. Triest wird immer mehr eine
ganz italienische Stadt.
21. Juni [Norwegen.] Der Storthing schließt mit einer ausgesprochenen Dif-
ferenz zwischen ihm und der Krone über das Belorecht der letzteren.
23. Juni [Deutsches Reich — Pforte.] Der Sultan schickt eine außer-
ordentliche Gesandtschaft mit kostbaren Geschenken an den Kaiser.
„ [Die Mächte — Pforte.] Zusammentritt der Botschafterkonferenz in
Konstantinopel. Dieselbe beschließt. ein Uneigennützigkeits-Protokoll
und daß keine Macht separat in Ägypten intervenieren solle und
wünscht mit der Pforte über eine bedingte Intervention derselben in
Ägypten zu unterhandeln. Die Pforte will aber von keiner solchen
und von überhaupt gar nichts hören. In England reift allmählich
der Entschluß, evenluell selbst zu intervenieren. England und Frank-
reich fangen an zu rüsten.
24. Juni [Frankreich.) Die Kammer schafft den religiösen gerichtlichen Eid
mit 338 gegen 108 Stimmen ab.
25. Juni [Österreich-Ungarn: Österreich.] Ein kais. Erlaß verlangt bei den
Staatsprüfungen an der neuen cjzechischen Universität Prag den Nach-
weis genügender Kenntnis der deutschen Sprache. Die Czechen sind
darüber sehr ungehalten.
26. Juni [Spanien.] Die radikale Partei Serrano fängt an, dem Ministe-
rium Sagasta in den Cortes Opposition zu machen, vorerst jedoch
ohne Erfolg.
29. Juni [Deutsches Reich: Preußen.] Die Regierung regelt die Gramen-
frage für die kath. Geistlichen auf Grund des neuen kirchenpolitischen
Gesetzes.
30. Juni [Österreich-Ungarn.] Die Regierungen beider Reichshälften beschließen
die rasche Durchführung der beabsichtigten Armeereform unter Ein-
führung des Territorialprinzips nach dem Muster Deutschlands. Ob
dasselbe jedoch in Österreich nicht die auf der gemeinsamen deutschen
Kommandosprache beruhende Einheit der Armee gefährdet und dem
Föderalismus in die Hände arbeitet, steht vorerst dahin. Die Un-
garn kommen dadurch ihrem Streben nach einer vollständigen unga-
rischen Armee jedenfalls immer näher.
„ [England.] In der Kapkolonie und den anderen südafrikanischen
Kolonien macht sich ein entschiedener Umschwung im Sinne der über-
wiegend holländischen Bevölkerung gegen das englische Übergewicht
bemerklich.
1. Juli. [Österreich-Ungarn: Osterreich.] Mit diesem Tage tritt eine neue
Organisation der Staatseisenbahnen mit einheitlicher Leitung von
Wien aus ins Leben. Die Föderalisten setzen aber auch hier sofort
mit ihren Dezentralisationstendenzen ein und beginnen eine Agitation
für Verlegung der gesamten Verwaltung der galizischen Bahnen nach
Lemberg, der böhmischen nach Prag. Vorerst erhebt jedoch auch da-
gegen die Armeeleitung in ihrem Interesse Einspruch.
Die Regierung. beschließt, Galizien die 72 Mill. Grundentlastungs-
schuld unter einigen Bedingungen einfach zu schenken. Die Polen
sind jedoch damit nicht einmal zufrieden.