186 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 25—26.)
ungen zwischen den Organen der Regierung und denjenigen der
hochkonservativen und ultramontanen Parteien.
Die offiziöse „Nordd. Allg. Ztg.“ richtet einen lebhaften Appell an
die konservativen Wähler zur Unterstützung gemäßigt Liberaler gegen die
Radikalen bei diesen Wahlen und wird dabei von der freikonservativen „Post"
nachdrücklich unterstützt, indem die letztere ausführt, daß der Radikalismus
des Hrn. Eugen Richter in seiner gegen die Person und das System des
Reichskanzlers gerichteten Agitation seine Kraft wesentlich nur aus der
Reaktion gegen extreme politische und namentlich kirchenpolitische Tendenzen
gewinne, aber einem maßvollen, von einseitigen Parteiinteressen freien Regi-
ment gegenüber im Volke Wurzel zu fassen nicht vermöge und daher vor
allem darauf ausgehe, zunächst die parlamentarischen Grundlagen einer
unabhängigen Regierung durch Beseitigung der Mittelparteien zu zerstören,
um schließlich das konstitutionelle System in Preußen durch den Parlamen-
tarismus zu ersetzen. Wenn man diese Tendenz wirksam bekämpfen wolle,
so müsse man notwendig einer Politik sich zuwenden, welche unter Ausschluß
extremer Anwandlungen und einseitiger Parteibestrebungen alle gesunden
Elemente zu positivem Schaffen zusammenzufassen strebe. Sie hoffe daher,
daß die konservative Partei sich mehr und mehr von der Leitung der Reichs-
boten-Richtung emanizipieren und daß die Mahnung des der Staatsregierung
nahestehenden Organs in den Reihen der Deutsch- Konservativen mehr Wir-
kung haben werde, als die davon abweichende seiner Zeit von hochkirchlich-
konservtliver Seite ausgegebene Wahlparole. Die hochkonservative, hochkirch-
liche und klerikale Presse setzt jedoch den Mahnungen der „Nordd. Allg.
Ztg.“ und der „Post“ den entschiedensten Widerstand entgegen. Die „Kreuzztg.“
weist die Aufforderung zu einem solchen „Selbstmord“ der Konservativen
neuerdings mit Entrüstung zurück und will von dem „liberalen Mischmasch"“
absolut nichts wissen. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ beharrt indes auf ihrer
Anschauung, daß die Konservativen, wenn sie nicht ebenfalls in die reine
Negation der Radikalen verfallen wollten, eine Verständigung mit den zu
positivem Wirken bereiten und geneigten anderen Elementen der Kammer
nicht nur nicht ablehnen, sondern geradezu anstreben sollten.
25. Oktober. (Preußen.) Der Vereinstag der evangelischen
Mittelpartei in Halle beschließt eine energische Resolution gegen die
Prätensionen der römisch-katholischen Kirche, wie sie in den letzten
Anläufen des neuen Fürstbischofs Herzog von Breslau gegen die
gemischten Ehen zu Tage getreten sind.
26. Oktober. (Preußen.) Definitive allgemeine Wahlen
zum Abgeordnetenhause des Landtags. Im Allgemeinen entspricht
das Resultat den aus dem Ausfall der Wahlmännerwahlen ge-
schöpften Erwartungen: die verschiedenen Gruppen der Linken haben
nicht nur eine Majorität nicht errungen, sondern sind in ihrer Zahl
vielmehr noch zurückgegangen, die Rechte erscheint dagegen wesentlich
verstärkt, beides auf Kosten der Mittelparteien, namentlich der Na-
tionalliberalen. Die Grundbesitzer sind in dem neuen Hause be-
sonders stark vertreten, auch sind bedeutend mehr Beamte gewählt
worden als bisher.