196 Das deutscht Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 5.)
Einführung der Kirchengesetze im Jahre 1875 herrschenden Not-
stände darlegen und danach um Aufhebung dieser Gesetze bitten soll.
Die Petition beginnt mit der Aufstellung der Behauptung, daß die
Kirchengesetzte des Jahres 1875 die Verfassung der katholischen Kirche in
wichtigen Punkten verletzt hätten. Hierauf wird mit nachdrücklicher Ent-
schiedenheit erklärt, daß die katholische Geistlichkeit der Diözese, ebenso wie
sie seiner Zeit gemeinsam mit ihrem vor 5 Jahren verstorbenen Bischof die
Erklärung abgegeben, daß ihnen „Gewissen und Priestereid“ nicht gestatte,
die neuen Kirchengesetze als für sie verbindlich anzuerkennen,
bei dieser Ablehnung der Gesetze auch gegenwärtig verharren
müsse. Hieraus seien große. Nachteile für die katholischen Gemeinden ent-
standen, und zwar heißt es in der Petition: „28 katholische Pfarreien des
Großherzogtums sind verwaist und entbehren der ordnungsmäßigen Seelsorge.“
„Die religiös sittlichen Zustände in diesen Pfarreien werden von Tag zu
Tag besorgniserregender. Die Verwilderung der Jugend nimmt in immer
höherem Maße zu, während die Achtung vor der Autorität, der elterlichen
sowohl als der weltlichen und geistlichen, immer mehr schwindet. Diesen
sittlichen Niedergang in manchen Gemeinden dürften wohl auch die groß-
herzoglichen Staatsbeamten auf die Verwaisung dieser Pfarreien Zurückzu-
führen in der Lage sein.“ Besonders schmerzlich sei auch die seit 5 Jahren
bestehende Vakanz des Mainzer Bischofsstuhles. Ferner klagt die Petition
über die Verminderung der Zahl der Theologie Studierenden, sowie darüber,
daß infolge der neuen Kirchengesetze — d. h. infolge der Opposition der
Geistlichen wider dieselben — weder ein Aufsteigen der Geistlichen vom
Kaplane zum Pfarrer, noch eine Beförderung der Pfarrer von gering do-
tierten Pfarreien zu besser dotierten möglich sei. Die „Nordd. Allg. Ztg.“
bemerkt dazu, daß ein Punkt jedem unparteiischen Leser dieses Schriftstückes
beim ersten Blicke auffallend erscheinen müsse: „Wenn, wie diese Petition
erweist, die Geistlichkeit der Diözese Mainz ein so klares Bewußtsein von
den durch ihre eigene Opposition gegen die staatlichen Gesetze für ihre
Gemeinden entstehenden Übelständen hat, so muß es doch wunderbar erschei-
nen, warum die Geistlichkeit diese Erfahrung nicht beherzigt, wenn anders
ihr die Interessen ihrer Gläubigen wirklich am Herzen liegen.“
5. November. (Deutsches Reich.) Wie zu erwarten stand,
denkt England auch nicht von ferne daran, den deutschen Bimetal-
listen entgegen zu kommen oder gar in die Hände zu arbeiten.
Die englische Fachpresse erklärt sehr trocken, wenn der deutsche Reichs-
tag die Beschlüsse des Kölner Bimetallistentages gutheiße, den Goldumlauf
vermindere und den Silberumlauf noch weiter vermehre, so werde England
das mit Vergnügen akzeptieren, „so wenig wir auch willens sein dürften, in
unseren eigenen Währungsverhältnissen irgend welche Änderung eintreten zu
lassen.“ Diese englische Antwort auf die deutsche Bereitwilligkeit ist ver-
ständlich genug. Deutsche Fachmänner machen gleichzeitig darauf aufmerk-
sam, daß Italien, Österreich und selbst Frankreich ganz allmählich und unter
der Hand ihren Goldvorrat vermehren und ihren Silbervorrat vermindern,
also sich die Möglichkeit zu schaffen scheinen, eventuell auch ihrerseits zur
Goldwährung überzugehen, während die deutschen Bimetallisten beschließen,
Deutschland, das Goldwährungsland, müsse sich auch ferner die Hände binden
und dürfe kein Silber verkaufen; es allein dürfe seinen Goldvorrat nicht
vermehren.
— November. (Preußen.) Die Auseinandersetzungen über