Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

202 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 14.) 
„. . Das Mißverhältnis zwischen dem Bedürfnis und den Mitteln 
des Staates, welches seit Jahren Meine Regierung zu Anträgen auf Ein- 
führung neuer indirekter Steuern beim Reich veranlaßt hat, be- 
steht infolge der bisherigen Ablehnung fast aller dieser Anträge auch jetzt 
noch fort. Dasselbe ist ein so erhebliches, daß es ohne die endliche Eröff- 
nung folcher Hilfsquellen nicht ausgeglichen werden kann. Schon das be- 
schränkte in dem bisherigen Rahmen des Staatshaushaltsetats zur Geltung 
gebrachte Ausgabebedürfnis hat nicht ohne außerordentliche Mittel gedeckt 
werden können. Auch für den Etat der nächsten Jahres sind solche erfor- 
derlich und durch Benutzung des Staatskredits zu beschaffen. Ein entspre- 
chendes Anleihegesetz wird Ihnen zugleich mit dem Etat vorgelegt werden. 
Was das weitergehende Staatsbedürfnis anbelangt, so wird Meine Regierung 
sich bemühen, durch besondere Gesetzvorlagen, welche die beabsichtigten Er- 
leichterungen der Kommunal- und Schullasten, sowie die Verbesserung der 
Beamtenbesoldungen, in Verbindung mit wünschenswerten organischen Neu- 
ordnungen bringen, die Teilnahme und Zustimmung zu gewinnen, welche 
dem wiederholt vorgelegten Entwurfe des Verwendungsgesetzes für die vom 
Reich zu erlangenden Mehreinnahmen leider versagt geblieben ist. Hoffent- 
lich wird es so gelingen, dem Bedürfnis Anerkennung zu verschaffen und 
auch seinen Umfang gemeinsam mit Ihnen festzustellen, damit dann die 
Reichsgesetzgebung mit besserem Erfolge für die Abhilfe in Anspruch ge- 
nommen werden kann. — Nur in einem Punkte kann dieser zeitraubende 
Weg nicht eingeschlagen werden: die Entlastung der ärmeren Klassen 
der Bevölkerung von dem Drucke der Klassensteuer muß nach 
Meiner Überzeugung ohne Verzug herbeigeführt werden. Es ist 
Mein Wunsch, die mit der Erhebung dieser Steuer verbundenen, harten und 
die Not sleigernden Exekutionen bald beseitigt zu wissen. Es wird Ihnen 
ein Gesetzentwurf wegen sofortiger vollständiger Aufhebung der 
vier untersten Stufen der Klassensteuer vorgelegt werden, welcher 
daher auch die einstweilige Deckung für den Ausfall vorzusehen hat. — Da 
nunmehr in dem größten Teile der Monarchie zur Durchführung ge- 
langte Staatsbahnsystem rechtfertigt zu meiner Genugtuung schon durch 
die seitherigen Erfolge die Erwartungen, welche an diese große Maßregel 
geknüpft werden durften. Wegen Herstellung einer weiteren Reihe wichtiger 
Schienenverbindungen in verschiedenen Teilen des Landes wird Ihnen eine 
Vorlage zugehen. Der in der letzten Session nicht erledigte Gesetzentwurf 
zur Ausführung der ersten Abteilung eines Kanals, welcher die großen 
Ströme in dem westlichen Teile der Monarchie unter sich verbinden soll, 
wird von neuem vorgelegt werden. Es werden Ihnen Gesetzentwürfe zu- 
gehen, welche dazu bestimmt sind, die Organisation der Verwaltung 
in einer durch das Bedürfunis gebotenen Weise zu vereinfachen. Dazu wird 
zugleich die begonnene Reform zu einem Abschlusse gebracht werden, welcher 
es gestattet, sie demnächst auf das gesamte Staatsgebiet auszudehnen. Zur 
Beseitigung der Mängel und Härten, welche sich bei der Zwangsvoll- 
streckung in unbewegliches Vermögen herausgestellt haben, wird Ihnen 
ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. — Die Wiederanknüpfung des diploma- 
tischen Verkehrs mit der römischen Kurie ist zu Meiner Freude der Be- 
festigung freundlicher Beziehungen zu dem Oberhaupte der katholischen Kirche 
förderlich gewesen, und hege Ich die Hoffnung, daß die versöhnliche Ge- 
sinnung, welche Meine Regierung zu betätigen nicht aufhören wird, auch 
ferner günstigen Einfluß auf die Gestaltung unserer kirchenpolitischen Ver- 
hältnisse üben werde. Inzwischen fährt Meine Regierung fort, auf Grund 
der bestehenden Gesetze und der ihr erteilten Vollmachten den Bedürfnissen 
Meiner katholischen Unterthanen auf kirchlichem Gebiete jede Rücksicht ange-
	        
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