206 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 17.)
keine unbefriedigende, indem der Ertrag der direkten Steuern ein steigender
ist und die Eisenbahnen in Folge der Verstaatlichung bedeutend größere
Überschüsse aufweisen als bisher. Den Mehreinnahmen stehen freilich auch
Mindereinnahmen gegenüber; so bei der Justizverwaltung allein nicht weniger
als 10 Mill. Mark, von denen jedoch der Minister selbst sagt, sie seien kein
schlechtes Zeichen; es sei ein Verlust für die Staatskasse, aber nicht für das
Land, denn es bedeute eine Abnahme der Prozesse an Zahl und an Wert;
so ferner bei der Forstverwaltung, wobei es Sensation erregt, daß er bei-
fügt: „Wir müssen die erdrückende Konkurrenz des ausländischen Holzimports
wirksam zu bekämpfen uns entschließen.“ Das Gesamtresultat des Etats ist
indes sehr wenig befriedigend, indem es wieder mit einem sehr bedeutenden
Defizit schließt. Um es zu decken, war im Etatsjahre 1880/81 eine Anleihe
von 37 Mill., in dem von 1881/82 eine solche von 28 Mill. nötig gewesen, das
laufende Jahr 1882/ 83 werde zwar einen Überschuß von 2,8 Mill. ergeben,
im nächsten aber 1883/ 84 werde schon wieder eine Anleihe von 31 Mill.
notwendig sein, und zwar, obgleich die Matrikularbeilräge ganz aufgehört
resp. durch Reichseinnahmen gedeckt werden, ja Preußen heute über den
formellen Betrag derselben hinaus vom Reiche noch 5½ Mill. herausbekommt.
Das neue Defizit im Etate rührt jedoch mit 20 Mill. von den Steuer-
erlässen der beiden letzten Jahre her, welche die Regierung aufrecht erhalten
will und daher diesen Betrag einfach in den Etat eingestellt hat und mit
10 Mill. von Verwendungen im außerordentlichen Budget. Der neue Steuer-
erlaß, der 4 untersten Stufen der Klassensteuer, mit 12 Mill. soll nach der
Ankündigung des Finanzministers vorläufig durch eine Lizenzsteuer auf
Tabak und Getränke gedeckt, später aber vom Reich und zwar in größerer
Aus- dehnung übernommen werden.
Die Verquickung der Finanzen resp. der Steuerreform in Preußen
und im Reich bleibt demgemäß nach wie vor bestehen. Ein Rückblick auf
diese Verquickung bemerkt darüber wesentlich zutreffend: „Als in den ersten
Wochen des unseligen Jahres 1878 alle Erwartung dahin gespannt war,
daß der Führer der nationalliberalen Partei als Amtsgenosse des Fürsten
Bismarck die Steuerreform in die Hand nehmen werde, da war es — trotz
aller selbstverläugnenden Geschichts- berichtigungen der „Nordd. Allg. Ztg.“ —
zuletzt doch der Freiherr v. Stauffenberg, der im Verein mit Lasker dem Fasse
den Boden einschlug durch die Forderung eines „Steuer- oder Einnahmebe-
willigungsrechts“ für das preußische Abgeordnetenhaus. Nachdem über diese
„konstitutionelle Garantie" Jahr und Tag lang unter unsäglichen Staub-
wirbeln gestritten worden, gelang es der besonnenen und klaren Weise des
Finanzministers Hobrecht, den Stein des Anstoßes für die Reform aus dem
Wege zu räumen, indem er mit Umgehung aller Steuerbewilligungs- und
Quotisierungsschematismen für die das gegebene Bedürfnis deckende Erklärung
die königliche Ermächtigung erlangte: daß diejenigen Mittel, welche infolge
der angestrebten Steuererhöhungen im Reich für den preußischen Staats- haus-
halt würden verfügbar werden, an der Klassen- und Einkommensteuer in
Abzug kommen müßten, sofern nicht über deren Verwendung Regierung und
Landtag sich anderweit einigen müßten. Diese Erklärung wurde, nachdem
Hobrecht's Nachfolger, Herr Bitter in seinem fbetrefenden Entwurf zuerst
aus barer Unkenntnis der Sachlage einige Konfusion angerichtet hatte, in
dem sogen. Verwendungsgesetz vom 16. Juli 1880 niedergelegt. Während
aber bis dahin dieses Gesetz nach seinem ganzen geschichtlichen Zusammhange
nur als ein Garantiegesetz aufgefaßt worden war, welches die Regierung
nötigen sollte, sich mit dem Landtage über die zweckmäßigste Verwendung
der Reichsüberschüsse zu verständigen, machte nun mit einemmale Herr Bitter
die Entdeckung, daß dadurch gegen die Klassen- und Einkommensteuerpflich-