210 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 22—23.)
bezügliche Vorlage der Regierung an den Bundesrat wird bereits
in Aussicht gestellt.
22. November. (Deutsches Reich.) Im Anschluß an die
kaiserliche Botschaft v. 17. November v. J. versuchen einige ham-
burgische Lassalleaner neuerdings die Bildung einer „nationalen
deutschen Arbeiterpartei" durch einen Aufruf behufs Einberufung
eines Kongresses. Der Aufruf sagt ganz verständig: „der Kongreß
würde im Stande sein, bestimmte formulierte Forderungen aufzu-
stellen, welche geeignet wären, die Lage der Arbeiter zu verbessern und
mit welchem diese an die Reichsregierung wie an die Gesetzgebung
herantreten könnten“; allein er fällt vorerst wie bisher einfach ins
Wasser.
22.-23. November. (Preußen.) Abg.-Haus: 1. Lesung und
Generaldebatte des Etats für 1883/84. Keiner der zahlreichen
Redner spricht sich gegen die in der Thronrede geforderte Beseitigung
der untersten Klassensteuerstufen aus, aber auch nur vereinzelte
Redner (aus der konserv. und freikonserv. Partei) erklären sich für
die von der Regierung angekündigte neue Lizenzsteuer. Am meisten
Aufsehen macht die Rede des (kons.) Abg. Prof. Ad. Wagner, der
den Liberalen weit entgegenkommt, indem er eine Reform der di-
rekten Steuern, namentlich eine bessere Einschätzung der höhern
Stufen verlangt und überdies wünscht, daß die Einkommensteuer
keine feststehende bleibe, sondern die Höhe derselben jährlich im
Staatshaushalt festgesetzt werde, wie man in England von jeher
verfahren sei. Der (konserv.) Abgeordnete v. Minnigerode erklärt
aber sogleich, daß Wagner nur seine eigenen Ansichten, und nicht
zugleich auch die der konservativen Partei dargelegt habe. Schließ-
lich werden die wichtigsten Teile des Etats einer Budgetkommission
überwiesen und sollen vorerst nur die unwesentlicheren im Plenum
erledigt werden.
Aus der Debatte ergibt sich als beinahe zweifellos, daß die reichs-
kanzlerische Lizenzsteuer auch in dem neuen preußischen Abgrordnetenhause
trotz der Verstärkung der konservativen Partei in demselben eine Majorität
nicht finden wird. Die Konservativen werden vielleicht für dieselbe stimmen,
aber nur mehr oder weniger gezwungen; eine große Zahl, vielleicht die
Mehrzahl derselben sind ihr innerlich abgeneigt. Dennoch läßt sich nicht
sagen, daß die energischen Bestrebungen des Reichskanzlers für Vermehrung
der Einnahmen des Reichs und der Einzelstaaten und demgemäß für die
Auffindung immer neuer Sleuerobjekle und Steuerarten nicht allmählich in
immer größeren Kreisen Anklang und Nachfolge finde. Gefällt das Lizenz—
steuerprojekt den Konservativen im Grunde nicht, so überrascht dagegen der
konservative Abgeordnete v. Minnigerode Freunde und Gegner durch die
Ankündigung, seine politischen Gesinnungsgenossen im Reichstage würden in