238 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 15.)
Rückgrat unseres Steuersystems sind. Das Reich nicht nur durch stille Liebe,
sondern auch durch materielle Bänder zusammenzuhalten, ist nationale Poli-
tik.“ (Beifall rechts). v. Schorlemer-Alst (ultram.) spricht gegen die
Vorlage; das Brückengeld sei eine ungeeignete Steuerreform, Steuern kein
erfreuliches Einheitsband. Der Sprung von der völligen Steuerfreiheit zu
einer Steuer von 18 Mark bei 1.201 Mark Einkommen sei zu groß. Die fiktive
Einschätzung in den vier untersten Stufen schütze das Wahlrecht dieser armen
Volksklassen nicht. Die Lizenzsteuer treffe vorzugsweise den armen Mann.
Er und seine Freunde würden keine neuen Steuern bewilligen, bevor nicht
wichtigere Steuern, namentlich die Börsensteuer, eingeführt seien. Zur
Deckung des Ausfalls könne man auf die beiden Steuererlasse zurückgreifen.
v. Rauchhaupt (konserv.) beschuldigt die Liberalen, durch Aufhebung der
Mahl- und Schlachtsteuer die vielen Exekutionen in den Städten hervorge-
rufen zu haben, die auf dem Lande fast ganz unbekannt seien. Abbröcke-
lungen von den direkten Steuern, die immer noch 145 Millionen einbringen,
könne er nicht billigen. Er bedauere, daß der Finanzminister von dem Re-
formplan nur wenig enthüllt und dadurch die Stellung der Konservativen
zur Regierung erschwert und über die Börsensteuer absolut geschwiegen habe.
Der Aufhebung der vier unteren Klassensteuerstufen würde seine Partei zu-
stimmen, die Frage der Deckung des Ausfalles halte sie für diskutabel, so-
wohl was die Verwendung der bisherigen Steuererlasse als auch was die
Lizenzsteuer anbelange, über welche die Meinungen in seiner Partei geteilt
seien. Er schließt mit einer mit besonderem Nachdruck vorgetragenen Er-
klärung, wonach seine Partei die Beratung dieses Gesetzes nicht als ein
Kampffeld betrachte, um Einfluß auf die Regierung zu gewinnen, sie behalte
sich aber auch genau wie jede andere Partei das Recht der freien Kritik und
Entscheidung über Regierungsvorlagen vor. v. Bennigsen (nat.-lib.) zieht
als letzter Redner zunächst das Resumé der zweitägigen Debatte, deren
ruhiger und sachlicher Verlauf sich vorteilhaft von den meisten Verhand-
lungen der letzten Jahre unterscheide. Die Lizenzsteuer, das sei klar, werde
mit großer Majorität abgelehnt werden, denn selbst die konservativen Redner
haben nur mit großen Einschränkungen und mit halbem Herzen für dieselbe
gesprochen. Das bemerkenswerte Resultat sei aber zu verzeichnen, daß alle
Parteien mit der Aufhebung einiger Klassensteuerstufen einverstanden seien
und eine Reform der direkten Steuern verlangen. Diese Tatsache könne
die Regierung, wie sie auch sonst dem Parlamentarismus gegenüberstehen
möge, nicht ignorieren; umsoweniger, als man im Lande die gesetzgeberische
Impotenz nicht begreife und für das unfruchtbare Gezänk der letzten Jahre
Regierung und Parlament gleichmäßig verantworllich mache. Es lasse sich
schon in dieser Session die Aufhebung mindestens der zwei untersten Stufen
der Klassensteuer, sowie eine gerechtere Skala der nächsten Stufen erreichen.
Die Deckung müsse durch die bisherigen Steuererlasse erfolgen. In den
nächsten Sessionen werde dann eine weitere Reform der direkten Besteuerung
mit stärkerer Heranziehung der wohlhabenderen Klassen, mit anderem Ein-
schätzungsverfahren und Deklaration, ähnlich wie Wagner vorgeschlagen, zu
erfolgen haben.
Die Unterichtskommission beschließt mit 10 (ultram. u. kons.)
gegen 8 (lib. u. freikons.) Stimmen, die Petition einiger katholischer
Einwohner des Schulbezirks Beyenburg gegen die dortige Simultan-
schule der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen, obgleich
der Regierungskommissär die Notwendigkeit und den rechtlichen Be-
stand derselben nachdrücklich darlegt.