Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 20.) 243
Oberinstanz wieder in die Ministerien zu verlegen; die Aufsichtsführung
über die Standesbeamten soll dem Oberpräsidenten übertragen werden.
4) Was die Zuständigkeit der einzelnen Behörden betrifft, so sollen Armen-
beschwerden auch in Städten bis zu 10.000 Einwohnern in Zukunft an den
Kreisausschuß gehen. Das Oberverwaltungsgericht soll dadurch entlastet
verden, daß die Schanksachen an die zweite Instanz zur endgültigen Ent-
scheidung verwiesen werden, und in städtischen Steuerbeschwerdesachen das
Oberverwaltungsgericht nicht mehr als Berufungs-, sondern als Revisions-
instanz fungieren soll. — Die Vorlage stößt von vornherein auf ein großes
Mißtrauen seitens der liberalen Parteien. Es ist eine der Vorlagen, welche
nur durch ein aufopferungsvolles Votum des Zentrums zu Gunsten der
bürokratischen Tendenzen ohne wesentliche Modifikationen zur Annahme
kommen könnte, und dazu ist doch wenig Aussicht.
20. Dezember. (Württemberg.) Bei den allgemeinen Neu-
wahlen zur II. Kammer unterliegt die demokratische Volkspartei,
die nach dem Ergebnis der vorjährigen Reichstagswahlen den Sieg
schon in den Händen zu haben glaubte, den vereinigten Parteien
der Konservativen und der Deutsch-Liberalen und dem Einfluß des
Ministeriums Mittnacht-Hölder. Die Skärke der Volkspartei bleibt
zwar schließlich so ziemlich dieselbe an Zahl wie bisher, aber ihre
Führer, Karl Mayer, Payer, Schott etc. fallen durch und zwar ge-
rade in denjenigen Wahlbezirken, auf welche sie als ihre stärksten
Bollwerke am bestimmtesten gezählt hatten. Die vereinigte Oppo-
sition wird, da zu der Volkspartei noch einige demokratische Ultra-
montane und einige Sozialdemokraten, die sich indes numerisch bei
den Wahlen als ziemlich unbedeutend herausgestellt haben, hinzu-
kommen, ungefähr ein Dritteil der neuen Kammer ausmachen,
wesentlich wie bisher. Aber die Lage ist doch eine entschieden andere
geworden.
Die Wahlbewegung war eine sehr lebhafte; an den der Entscheidung
vorangehenden Tagen waren die Blätter mit Programmannoncen der Kan-
didaten gefüllt. Plakate prangten an den Straßenecken, von Stadt zu Stadt,
von Dorf zu Dorf wurde das Land bereist und bearbeitet. Die von den
Kandidaten vorzugsweise erörterten Fragen, welche auch den Landtag be-
schäftigen werden, betrafen die Malzsteuer, die Verfassungsreform und die
Vereinfachung der Verwaltung. Was die Malzsteuer angeht, so wurde
dieselbe 1881 von Mark 3,60 auf Mark 5 per Zentner erhöht. Die Bierbrauer
verlangen Rückkehr zum früheren Ansatz, da sie die Differenz in der Be-
steuerung nicht auf den Konsumenten abwälzen könnten, und wollen den
Ausfall in den Einnahmen dadurch gedeckt wissen, daß der Wein künftig
nicht von dem Wirte, der ihn ausschenkt, versteuert wird, sondern schon beim
Keltern von den Händlern. Dagegen erheben die weinbautreibenden Gegen-
den ihre Stimmen; sie machen geltend, daß der Weinbau und Weinhandel,
der durch eine Reihe schlechter Jahre schwer gelitten habe, durch das vor-
geschlagene Steuersystem vollends zu Grunde gerichtet werde. Die Ansichten
der Abgeordneten über diese Frage sind geteilt; während einige dafür sind,
erklären andere die Durchführung der vorgeschlagenen Maßregel im Angesicht
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