Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 20.) 243 
Oberinstanz wieder in die Ministerien zu verlegen; die Aufsichtsführung 
über die Standesbeamten soll dem Oberpräsidenten übertragen werden. 
4) Was die Zuständigkeit der einzelnen Behörden betrifft, so sollen Armen- 
beschwerden auch in Städten bis zu 10.000 Einwohnern in Zukunft an den 
Kreisausschuß gehen. Das Oberverwaltungsgericht soll dadurch entlastet 
verden, daß die Schanksachen an die zweite Instanz zur endgültigen Ent- 
scheidung verwiesen werden, und in städtischen Steuerbeschwerdesachen das 
Oberverwaltungsgericht nicht mehr als Berufungs-, sondern als Revisions- 
instanz fungieren soll. — Die Vorlage stößt von vornherein auf ein großes 
Mißtrauen seitens der liberalen Parteien. Es ist eine der Vorlagen, welche 
nur durch ein aufopferungsvolles Votum des Zentrums zu Gunsten der 
bürokratischen Tendenzen ohne wesentliche Modifikationen zur Annahme 
kommen könnte, und dazu ist doch wenig Aussicht. 
20. Dezember. (Württemberg.) Bei den allgemeinen Neu- 
wahlen zur II. Kammer unterliegt die demokratische Volkspartei, 
die nach dem Ergebnis der vorjährigen Reichstagswahlen den Sieg 
schon in den Händen zu haben glaubte, den vereinigten Parteien 
der Konservativen und der Deutsch-Liberalen und dem Einfluß des 
Ministeriums Mittnacht-Hölder. Die Skärke der Volkspartei bleibt 
zwar schließlich so ziemlich dieselbe an Zahl wie bisher, aber ihre 
Führer, Karl Mayer, Payer, Schott etc. fallen durch und zwar ge- 
rade in denjenigen Wahlbezirken, auf welche sie als ihre stärksten 
Bollwerke am bestimmtesten gezählt hatten. Die vereinigte Oppo- 
sition wird, da zu der Volkspartei noch einige demokratische Ultra- 
montane und einige Sozialdemokraten, die sich indes numerisch bei 
den Wahlen als ziemlich unbedeutend herausgestellt haben, hinzu- 
kommen, ungefähr ein Dritteil der neuen Kammer ausmachen, 
wesentlich wie bisher. Aber die Lage ist doch eine entschieden andere 
geworden. 
Die Wahlbewegung war eine sehr lebhafte; an den der Entscheidung 
vorangehenden Tagen waren die Blätter mit Programmannoncen der Kan- 
didaten gefüllt. Plakate prangten an den Straßenecken, von Stadt zu Stadt, 
von Dorf zu Dorf wurde das Land bereist und bearbeitet. Die von den 
Kandidaten vorzugsweise erörterten Fragen, welche auch den Landtag be- 
schäftigen werden, betrafen die Malzsteuer, die Verfassungsreform und die 
Vereinfachung der Verwaltung. Was die Malzsteuer angeht, so wurde 
dieselbe 1881 von Mark 3,60  auf Mark 5 per Zentner erhöht. Die Bierbrauer 
verlangen Rückkehr zum früheren Ansatz, da sie die Differenz in der Be- 
steuerung nicht auf den Konsumenten abwälzen könnten, und wollen den 
 Ausfall in den Einnahmen dadurch gedeckt wissen, daß der Wein künftig 
nicht von dem Wirte, der ihn ausschenkt, versteuert wird, sondern schon beim 
Keltern von den Händlern. Dagegen erheben die weinbautreibenden Gegen- 
den ihre Stimmen; sie machen geltend, daß der Weinbau und Weinhandel, 
der durch eine Reihe schlechter Jahre schwer gelitten habe, durch das vor- 
geschlagene Steuersystem vollends zu Grunde gerichtet werde. Die Ansichten 
der Abgeordneten über diese Frage sind geteilt; während einige dafür sind, 
erklären andere die Durchführung der vorgeschlagenen Maßregel im Angesicht 
16* 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.