Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 21.) 245
21. Dezember. (Deutsches Reich.) Da die dem preußischen
Landtag von der Regierung vorgeschlagene Lizenzsteuer auf Tabak-
fabrikate und Getränke nur provisorisch, um den durch die Auf-
hebung der vier untersten Stufen der Klassensteuer entstehenden
Ausfall vorläufig zu decken, eingeführt, später aber durch eine ähn-
liche Steuer für das Reich ersetzt werden soll, so geben die offiziösen
„Berliner Polit. Nachrichten“ bereits nähere Angaben über den dies-
fälligen Plan des Reichskanzlers. Auffallender Weise ist darin nur
von einer neuen Steuer auf Tabakfabrikate, nicht aber auch auf
Getränke (Branntwein, Bier und Wein) die Rede; aber schon auf
Tabakfabrikate soll die Steuer für das Reich eine neue Einnahme
von ca. 93½ Mill. Mark jährlich in Aussicht stellen. Die Auf-
nahme des Planes seitens der öffentlichen Meinung ist inzwischen
ganz überwiegend keine günstige: trotz des Ausfalls der letzten
Wahlen hat die Ligenzsteuer selbst im preußischen Landtage nur wenig
Aussicht durchzudringen, im Reichstag offenbar noch weniger.
Die Mitteilungen der offiziösen „Berl. Polit. Nachr.“ gehen dahin:
„Während im Allgemeinen bekannt ist, daß die Reichsregierung daran fest-
hält, im Tabak ein Besteuerungsobjekt par excellence zu erblicken, und daß
die geeignetste Stelle, welche nach Ablehnung des Monopols noch übrig ge-
blieben ist, um die Steuerkraft des Tabaks dienstbar zu machen, diejenige
sei, wo er den Handel verläßt und in die Konsumtion eintritt, verlautet
weiter, daß Erörterungen über ein Memorandum angestellt werden sollen,
welches die Einführung einer Lizenzsteuer für den Handel mit Tabak und
Tabakfabrikaten, sowie eines Stempels auf Tabakfabrikate" im Reiche vor-
schlägt. War es ein Hauptvorzug des vorgeschlagenen, aber abgelehnten
Reichs Tlabakmonopols, daß durch dasselbe den Tabakkonsumenten der Genuß
in keiner Weise verteuert worden wäre, so soll der gedachte Vorschlag aller-
dings das gegen sich haben, daß durch ihn die Tabakfabrikate in einer,
übrigens keineswegs drückenden Weise, teurer werden müssen. Dagegen ver-
meidet der Vorschlag alle jene Nachteile, welche auf der einen Seite mit dem
Betriebe großer und ausgedehnter Staatsindustrien immerhin verbunden sein
mögen, während er andererseits, indem er die Tabakindustrie weder zu
zentralisieren, noch auch nur zu lokalisieren sucht, der Bevölkerung die un-
beschränkteste Handels- und Verkehrsfreiheit erhält und durch eine passend
gewählte Progression des Stempels um so niedrigere Ansprüche an die
Steuerkraft stellt, als vom Einzelnen billigere Tabakfsabrikate konsumiert
werden. Trotzdem sieht der Vorschlag ein Nettoerträgnis von ca. 93 ½
Millionen Mark per Jahr vor, also 0,59 des französischen Monopol- Netto-
erträgnisses, aber 3,53mal soviel wie die beziehungsweise österreichische Ein-
nahme und belastet dabei im Verhältnis zu Frankreich den Kopf der Be-
völkerung nur etwas mehr als ein Drittel (0,386), das Gewicht weniger als
ein Drittel (0,313 ), im Verhältnis zu Österreich den Kopf der Bevölkerung
nur um etwa Dreiviertel (0,74), das Gewicht ebenfalls um Dreiviertel (0,74).
Der Vorschlag geht nämlich dahin, im ganzen Reich die Berechtigung zum
Handel und zur Fabrikation von Tabak, resp. von Tabaksfabrikaten vom
Besitz eines — nicht übertragbaren — Berechtigungsscheines abhängig zu
machen, für den je nach dem Umfange, resp. der Bedeutung des Etablisse-