Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 28—31.) 249
teils wenigstens auf lange hinaus unbewohnbar gemacht. Der
Schaden an Privateigentum wie an Dämmen u. dgl. ist ein enormer.
In dieser Not tritt aber auch zunächst die Privathilfe in allen
Teilen des Reichs in wahrhaft großartiger Weise ein. Auch die
Deutschen im Auslande bewähren sich als Deutsche: aus den Ver-
einigten Staaten Nordamerikas allein geht nach und nach über eine
halbe Million Mark an Hilfsbeiträgen ein.
28. Dezember. (Preußen.) Abg.-Haus: die Steuerkommission
desselben konstituiert sich und wählt Hobrecht (nat.-lib.) zu ihrem
Präsidenten, Rickert (Sez.) zum Referenten und Wagner (kons.) zum
Korreferenten. Die von der Regierung vorgeschlagene Lizenzsteuer
hat von vornherein keine Aussicht auf Annahme.
31. Dezember. (Deutsches Reich.) Mit diesem Tage er-
lischt der bisherige sog. Veredlungsverkehr zwischen Deutschland und
Österreich. Die Maßregel der österreichischen Regierung ist ein
schwerer Schlag für einen sehr erheblichen Teil der deutschen In-
dustrie, aber die natürliche Folge der seit 1879 eingetretenen
totalen Wandlung der deutschen Handelspolitik, der Österreich seiner-
seits folgt.
Eine Verordnung des österreichischen Handelsministers vom 30. De-
zember 1881 setzte für die Giltigkeit der Erlaubnisscheine, auf Grund deren
der früher so schwunghaft betriebene Veredelungsverkehr mit Webstoffen noch
stattfinden durfte, den letzten Dezember dieses Jahres als Endtermin fest
und zur Ausstellung von Erlaubnis- scheinen über diesen Termin hinaus hat
der Minister die Zollbehörden nicht ermächtigt. So bleibt nur der sogen.
kleine Veredelungsverkehr bestehen, der sich zwischen den beiderseitigen Grenz-
distrikten bewegt, während die langjährigen Verbindungen österreichischer
Fabrikanten mit den Rheinlanden, dem Elsaß etc. erlöschen. Es wird damit
eine der wichtigsten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem deutschen Zoll-
gebiete und Österreich-Ungarn beseitigt, und damit ein zollpolitischer Rück-
schritt um mehr als hundert Jahre gemacht. Schon die österreichische Zoll-
ordnung vom 17. August 1774 gestaltete, daß ausländische Waren zur
Appretur oder auf Spekulalion eingeführt werden dürften, und diese Be-
stimmung nahm auch die Zoll- und Monopolsordnung vom Jahre 1835 in
§ 222 auf. Der Vertrag von 1853 schuf die wesentliche Erweiterung des
Verkehrs, daß Waren zur Zubereitung, Umgestaltung oder Veredelung nicht
mehr blos nach Österreich ein, sondern auch aus Österreich ausgeführt wer-
den durften, ein Fortschritt, der von Preußen mit gewissen Kautelen schon
durch die Zollordnung vom 26. Mai 1818 gemacht war. Dieser Veredelungs-
verkehr im technischen Sinne war eine teilweise Aushebung der Zollschranken
im Interesse internationaler Arbeitsteilung und insofern er das Arbeitsfeld
für die beteiligten Industrien beider Zollgebiete erweiterte, eine entschieden
freihändlerische Maßregel. Da nach der großen Umwälzung des Jahres
1866 der Veredelungsverkehr vertragsmäßig weiter ausgebildet wurde, so
haben große Industriezweige auf beiden Seiten in dem Glauben an seine
Fortdauer umfangreiche Anlagen und Einrichtungen zu seiner Benützung ge-