Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

276 Die österrtichisch-Ungarische Ulonarchie. (Ende März.) 
haus-Mitgliedern waren etwa 10 polnischer, einer (Miklosich) slovenischer 
und, wenn man von den paar böhmischen Kavalieren zweifelhafter Nationa- 
lität absieht, kein eingiger czechischer Nationalität, dagegen 170 Deutsche von 
Geburt und Gesinnung. Heute zählt das Abgeordnetenhans 57 Polen, 3 
Ruthenen, 53 Czechen, 13 Slovenen, 10 Kroaten, 1 Serben, 5 Rumänen 
und etwa 12 Italiener, dann rund 200 Deutsche. Erlangt das vom Ab- 
geordnetenhaus angenommene Wahlreformgesetz Geseheskraft, dann dürfte sich 
das Nationalitätenverhältnis in der zweiten Kammer folgendermaßen stellen: 
58 Polen, 3 Ruthenen, 65 Cgechen, 14 Slovenen, 12 Serben und Kroaten, 
6 Rumänen, 12 Italiener und 183 Deutsche, so daß also die 8 Millionen 
Dentschen nach wie vor stärker im Abgeordnetenhause vertreten sein werden, 
als die 14 Millionen anderer Nationalitäten. Da in dem Kampfe gegen 
die Expansiv- Bestrebungen der Slaven die Deutschen auch auf die Unter- 
stügung der Italiener, im Kampfe gegen den Panslavismus aber auch auf 
das Bündnis der Polen rechnen können, so ist die Gefahr eines flavischen 
Parlaments absolut ausgeschlossen, und ein deutsches Parlament darum auch 
nicht denkbar, weil die deutschen Klerikalen von dem Pangermanismus min- 
destens ebensowenig wissen wollen, wie die Polen von dem Panslavismus. 
Würde aber das Ideal Ed. Sueß' und anderer Redner der Verfassungspartei 
sich vervirtlschen, und ein Volkshaus auf breiter Grundlage, die keine andere 
sein kann als die des allgemeinen Stimmrechls, erstehen, dann würden in 
den Neicherat 80. Cncchen, 53 Polen, 19 Slovenen, 43 Ruthenen, 10 Serbo- 
Kroaten, 13 Italiener, S Rumänen und etwa 127 Deutsche kommen; kurz, 
das Parlament würde ebenso flavisch werden, wie es früher deulsch war, 
und da dann von den 127 Deutschen mindestens 40 der klerikalen Partei 
sich anschließen dürften, so sänle die Vertretung der deutsch-liberalen Be- 
völlerung auf ein Minimum herab.“ 
Dagegen lanten die Anßerungen der deutschgesinnten Blätter 
ÖSsterreichs allerdings ganz anders. Ihre Stimmung ist sichtlich eine ge- 
drückte und ihre Anschauungen sind vielfach sehr pessimistische, allerdings 
ohne darum den Mut zu verlieren, das anstürmende, Slaventum wie bisher 
so auch weiterhin euergisch und auf der ganzen Linie zu bekämpfen. In 
Böhmen ist der Kampf der beiden Nationalitäten, der deutschen und der 
czechischen, sortwährend am lebhaftesten; aber es läßt sich nicht mehr läng- 
nen, daß die Czechen bereits das Übergewicht erlangt haben, und daß sie mit 
dem Erreichten noch lange nicht zufrieden sind und nicht ruhen werden, bis 
sie die Herrschaft im Landtage werden errungen haben, ja daß sie auf die 
Herstellung eines antonomen Königreichs Böhmen mit Mähren und Schlesien 
durchaus nicht verzichtet haben. Und dazu kommen nun in nenester Zeit 
die Bestrebungen der Slovenen, die ganz auf den Wegen der Czechen 
gehen, in Krain und Laybach einen festen Ausgangspunkt gewonnen haben 
und von da aus in den sämtlichen deutschen Alpenländern eine Bewegung 
zu organisiren bemüht sind, die ganz nach dem Vorgange der Czechen über- 
all „Gleichberechtigung verlangt, die deutschen Elemente auseinanderzusprengen 
sucht und sich — analog dem Königreich Böhmen — in der Idee eines schließ- 
lich aufzurichtenden slovenischen „Königreichs Illyrien“ wiegt. Unter dem 
Titel: „Der Kampf der Deulschen und Slovenen“" siellt ein Wiener 
Blatt die Thatsachen zusammen und schließt dahin: „Es wird nicht lange 
währen, und die Slovenen werden eine Rechtsakademie in Laybach mit 
slovenischer Unterrichtssprache begehren, welche sie ja wiederholt verlangt 
haben, wenn sie es nicht vorziehen, die Grazer Universität für sich mit zu 
beanspruchen und daselbst flovenische Vorlesungen zu fordern. Sie werden 
sich darauf berusen, daß zwischen 1848 und 1850 in Laybach slovenische 
Vorlräge über österreichisches Eivil= und Strafrecht, allerdings nur von
	        
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