292 Die österreichisch-Ungarische Monarchit. (Juni 1-5.)
Staatsbahngesellschaft gelangen der Vertrag und ein Tarifkartell
zum Abschluß. Doch sollen dieselben vorerst geheim bleiben, bis
sie von der Generalversammlung genehmigt sein werden.
1. Juni. (Ungarn.) Oberhaus: Graf Dessews##y, der bei-
nahe drei Jahre hindurch Kreishauptmann in Serajewo war und
vor kurzem infolge von Reibungen mit den obersten Landesbehörden
zurücktreten mußte, unterzieht das bisherige Gebaren der österr. Ver-
waltung in den okkupierten Provinzen aus eigenen Anschauungen
und Crfahrungen einer vernichtenden Kritik, in der er die Ursachen
des Aufstandes in der Steuereintreibung und in der Forstverwaltung
bloßlegt. Die Uberzeugung, daß dort gründlicher und rücksichtsloser
Wandel prinzipiell geschafft werden müsse, steht in Ungarn nach-
gerade in allen Kreisen fest.
Anfang Juni. (Ungarn.) Die Czechen greifen bereits bis
nach Ungarn hinüber, indem sie die Slovaken Nordungarns, die
dort nach der letzten Volkszählung 1½ Millionen zählen, auffor-
dern, die czechische Sprache als Schriftsprache anzunehmen und so
sich den Cgechen anzugliedern.
Denn wenn sie dies thäten, könnten sich die Slovaken den Magyaren
ganz anders entgegenstellen und diesen zurufen: „Wir sind nicht, wie nach
der letzten Volkszählung, anderthalb Millionen. sondern wir gehören einem
Volke von acht Millionen an, dessen Literatur und Geschichte weit älter und
bedeutender sind, als die magyarische“. Das Brünner Organ des Ministers
Pragak meint ferner: „Wir müssen die slovakischen Studenten an die czechi-
schen Schulen heranziehen und sie als Verbündete der Czechen in ihre Heimat
zurücksenden. Wir müssen die slovakische Literatur energisch unterstügzen.
Aber nicht nur auf schriftlichen Verkehr allein dürfen wir uns beschränken,
sondern die czechischen Professoren und Studenten müssen die Ferien zu
Neisen ins nördliche Ungarn, nach Thurocz-Szent-Marton benühen und sich
dort mit den Führern der Slovakenpartei verständigen. Das wird viel
besser und mehr nützen, als wenn wir die Slovaken als an die Regierung
verkauft verschreien.“ Und das, was Morawska Orlice vorschlägt, wird be-
reits effektuirt. Es befinden sich schon zahlreiche flovakische Studenten in
Prag, und die nene czechische Universität wird auf die oberungarischen
Slovaken eine starke Anziehung üben. Dann aber finden die Agitations-=
Reisen czechischer Professoren und Studenten nach Ober, Ungarn bereits seit
einer Reihe von Jahren statt, und man ist in Pest sehr genau darüber
unterrichtet, daß diese Ausflüge nicht lediglich den Natiusschhheiten Ober-
Ungarns gelten.
5. Juni. (Österreich-Ungarn.) Der bisherige Unterstaats-
sekretär im Ministerium des Auswärtigen v. Kallay, ein Ungar, wird
zum gemeinsamen Finanzminister, beziehungsweise zum Minister für
Bosnien — denn dieses Nebenamt überragt bei weitem an Bedeulung
das der gemeinsamen Finanzen — ernannt, nachdem er sein Pro-
gramm vorgelegt hat und dasselbe gebilligt worden ist.