Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

294 Die österteichisch-Ungarische Monarchit. (Mitle Juni.) 
Nach der Anllageakte wäre in der That Galizien zum Versuchs- 
felde panflavistischer Abenteurer ausersehen gewesen. Moskauer und Peters- 
burger Komites setzten diese Agitation in's Werk und entsandten zu diesem 
Behufe zwei Emissäre, die Professoren Szokoloff und Palmoff, nach Lem- 
berg. Dieselben machten sich jedoch rechtgeitig aus dem Stanbe. An der 
Leitung der Agitation soll der Privatsekretär des Grafen Ignakieff, Wladi- 
mir Dobrzansky, Sohn des Hauptangeklagten Hofrates Dobrzansky, einen 
hervorragenden Anteil genommen haben. Daß die panflavistischen Komites 
sehr große Geldbeträge für die Agitation anfgewendet haben, wird in der 
Anklageschrift nachgewiesen. Die Angeklagten, wird behauptet, hätten für 
ihre russophile Agitation gute Bezahlung erhalten. Aus der umfangreichen 
Anklageschrift ist ferner zu entnehmen, daß bei einem der Angeklagten ein 
strategischer Plan besunden worden, auf welchem genau der Punkt bezeich- 
net war, der für den Einbruch russischer Truppen in Galizien der geeig- 
nelste sei, und daß Berichte zu Tage gekommen, die die Augeklagten nach 
Moaign und Petersburg adressirt hatten und die triumphirend meldelen, daß 
deg für eine russische Invasion in Galizien vollständig gebahnt sei. 
Tron alledem wird in weiten Kreisen angenommen, daß der ganze Prozeß 
nicht viel mehr als eine Ausgeburk der polnischen Phantasie sei und daß 
jedenfalls der Ruhen#nheß der Polen vieles arg übertrieben habe. 
Mitte Juni. (Böhmen.) Nachdem es den Czechen gelungen, 
durch Teilung sich die Majorität der Vertreter des Großgrundbe- 
sites zu sichern, verfolgen sie nunmehr denselben Zweck mit dem- 
selben Mittel auch bezüglich der Handelskammern. 
In Böhmen existiren bis jebt 5 Handelskammern in Prag, Reichen= 
berg, Eger, Pilsen und Budweis. In allen haben bis jetzt noch die 
Deutschen die Oberhand. Allein in neuester Zeit machen die Czechen ge- 
waltige Anstrengungen, dieß zu ändern. In der Prager Handelskammer 
ist es bei den letzten Wahlen nur dem Aufgebot aller Kräfte und der Un- 
erschültcolicheit der deutschen Industriellen und Kaufleute gelungen, den 
czechischen Ansturm abzuschlagen; in der Pilsener gelang es den Czechen 
wenigstens, die bisherige deutsche Majorität auf 2 Stimmen herabzudrücken. 
Nun sollen aber aus den 5 Handelskammern 7 gemacht werden und zwar 
durch Teilung der Handelslammern von Prag und Neichenberg in je zweie 
Kammern. Der Zweck dieses Planes liegt auf der Hand. Der Egerer Han- 
delskammer= #ezirt ist ganz deutsch und soll Veeo bleiben wie er ist, weil 
die Czechen dort durch eine Abteilung oder Ausscheidung gar nichts ge- 
winnen könnten. Auch der Pilsener und Budweiser Bezirk sonten intakt 
bleiben, aber aus einem entgegengesetzten Grunde. Hier hoffjen die Czechen 
sich mit der Zeit beider Kammern ganz zu bemächtigen und dadurch auch 
die deutschen Industriellen, Kaufleute und Gewerbetreibenden zu majorisiren. 
Dagegen sollen die czechischen Distrikte aus dem Reichenberger Bezirke aus- 
geschieden und teils dem Prager Kammerbezirke zur Verstärkung des czechi- 
schen Elementes in demselben zugeschlagen, teils den Bezirk einer neuen, in 
Königgrätz zu errichtenden Kammer bilden, die demzufolge natürlich von 
voruherein ganz czechisch wäre. Endlich aber jollen auch von dem Prager 
Bezirke die füdöstlichen Distrikte abgelrennt und einer andern, neu zu er- 
richtenden czechischen Handelskammer in Chrudim zugeteilt werden. Das 
Endresultat dieser „Reform'" wäre also, statt der bisherigen fünf Handels- 
temern in Böhmen deren sieben, von denen zwei — Eger und Neichen- 
— den Deutschen belassen würden, während die übrigen fünf mit Hilfe 
eind, Herabsetung des Zensus zu Gunsten der czechischen Wähler als Horte 
 
	        
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