Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

4 Das deutsche Reich und seine eizelnen Glieder. (Jan. 1—4.) 
ihres Dienstes nach dem Disziplinar-Gesetze enthoben werden können, erstreckt 
sich die durch den Dienst-Eid beschworene Pflicht auf die Vertretung 
der Politik meiner Regierung auch bei den Wahlen. Die treue 
Erfüllung dieser Pflicht werde ich mit Dank anerkennen und von allen 
Beamten erwarten, daß sie sich im Hinblicke auf ihren Eid der Treue von 
jeder Agitation gegen meine Regierung auch bei den Wahlen 
fernhalten.“ 
Der Erlaß ist von Fürst Bismarck gegengezeichnet und unzweifelhaft 
eine Antwort auf die Wahlbeeinflussungsdebatte des  Reichstags vom 
15. Dez. 1881, wie die Thronrede des 17. Nov. eine solche auf das Wahl- 
ergebnis des 27. Okt. war. Zunächst ist es ferner ein Erlaß des Kaisers 
als Königs von Preußen und nicht als deutschen Kaisers. Aber er zieht 
doch auch das deutsche Reich hinein und zwar nicht nur durch die Tatsache, 
daß mehr als die Hälfte der deutschen Reichs- bürger Unterthanen des Königs 
von Preußen sind. „Sowohl in Preußen wie in den gesetzgebenden Körpern 
des Reiches“ soll über das „verfassungsmäßige Recht" des jetzigen König- 
Kaisers und seiner Nachfolger „zur persönlichen Leitung der Politik“ kein 
Zweifel gelassen werden. Die gesetzgebenden Körper des Reiches sind Bundes- 
rat und Reichstag. Der erstere kennt keinen deutschen Kaiser als einen 
außerhalb stehenden Obersouverän, sondern er kennt einen von ihm selbst 
mit eingeschlossenen mit dem kaiserlichen Titel aus ausgezeichneten Präsidenten 
des Bundesrates mit einer gewissen Stimmenanzahl. In dieser Beziehung 
ist der Artikel also kaum ganz korrekt formuliert, jedoch kaum in Überschätzung 
der reichsverfassungsmäßigen Stellung des deutschen Kaisers, sondern ledig- 
lich um stilistischer Schwierigkeiten willen. Die Stellung des Kaisers dem 
Reichstag gegenüber mußte in den Erlaß mit hineingezogen werden und da 
hätte man einen förmlichen kleinen staatsrechtlichen Essay gebraucht, um 
die Stellung des Kaisers im Reiche zu derjenigen des Königs in Preußen 
genau zu formulieren. Staatsrechtliche Auseinandersetzungen aber taugen 
nicht in eine Proklamation und, mit einer solchen hat man es hier unzweifel- 
haft zu tun. 
Der Schwerpunkt des Erlasses fällt übrigens nicht auf den ersten, 
sondern entschieden auf den zweiten Teil desselben. Denn daß nach der 
preußischen Verfassung wie nach den Verfassungen aller übrigen deutschen 
Einzelstaaten der König oder Fürst im Sinne des sog. konstitutionellen Sy- 
stems „herrscht und regiert“, und nicht, wie es das parlamentarische Prinzip 
verlangte, „herrscht, aber nicht regiert", wird in Deutschland von allen 
Seiten anerkannt, und steht außer allem Zweifel. Und wenn der König- 
Kaiser sagt, daß die preußische Verfassung und Überlieferung ihn nicht zum 
Verzicht auf das persönliche Regiment nötigen könne, so ist das für Preußen 
doppelt richtig. Nicht das Land hat die Hohenzollern gemacht, sondern die 
Hohenzollern haben das Land gemacht. Eine Erinnerung an diesen Sach- 
verhalt können wenigstens die Anrufer der „Hohenzollern“ gegen das Bis- 
marckische „Hausmeiertum“ nicht übel nehmen. Anders liegt dagegen die 
Sache bez. des zweiten Teils des Erlasses, der Frage der Stellung der Be- 
amten zu den Wahlen, indem jedem preuß. Beamten die Agilation gegen 
die Regierung verboten, dem Verwaltungsbeamten aber eine solche für die 
Regierung zur Pflicht gemacht zu werden scheint. Bisher war die Praxis 
diejenige, daß der Verwaltungsbeamte für notwendig neutral angesehen 
wurde, der richterliche Beamte dagegen die Hände zur Opposition frei hatte 
und dieselben auch gewöhnlich in der ausgiebigsten Weise regte. Der Erlaß 
ist nun ein Schlag gegen den preuß. „Kreisrichter“, jetzt Landgerichtsrat ge- 
nannt. Liegt in dem Erlaß eine Überschätzung der königlichen Prärogative,
	        
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