Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

384 Erankrtich. (Jan. 14—16.) 
zu den Gegnern Gambetta's, aber auch nicht zu seinen entschiedenen 
Freunden gehört. 
Gambetta macht in seinem Organ, der „Rep. franc.“, die im 
vorigen Jahr am Senat gescheiterte Einführung des Listenskrutiniums 
zur Kabinetsfrage. Es ist jedoch zweiselhaft, ob die Kammer und 
noch mehr, ob der Senat auch in seiner neuen Zusammenfetzung die 
Hand dazu bieten werde. 
14. Januar. Kammer: Gambetta legt derselben seinen Ent- 
wurf einer Verfassungsrevision vor. 
Derselbe enthält folgende Hauptpunkte: 1) die unabsehbaren Sena- 
toren werden künftig von beiden, aber getrennt von einander votierenden 
Kammern gewählt, nicht mehr vom Senat allein; 2) der Wahlkörper, welcher 
gegeiwpärtig die Senatoren wählt, soll auf der Vasis „ein Delegierter auf 
die Gemeinde“ modifizieri werden; 3) das Prinzip des Listenskrutiniums für 
die Depntiertenwahlen wird in die s eingetragen; 4) die finanziellen 
Befugnisse des Senats sollen abgeäudert werden; der Senat soll nicht ferner 
gestrichene Etaksposten wiederherstellen können, dagegen das Recht der Kon- 
trole haben; 5) die öffentlichen Gebete bei der Eröffnung der Sessionen 
werden abgeichafft. — Die Vorlage soll nach einem Antrage der Nadikalen 
von einer großen durch die Abteilungen zu wählenden Kommission von 3:3 
Mitgliedern vorberaten werden. Die Annahme des Antrags ist für Gam- 
betta kein gutes Zeichen. 
16. Jannar. Kammer: Der Kriegsminister Gen. Campenon 
macht derfelben eine Reihe von überaus wichtigen Vorlagen zur Re- 
organisation der Armee. Auch diese sollen einer großen Militär- 
kommission überwiesen werden. 
Die Vorlagen bilden zusammen einen umfassenden Organisalions- 
plan, den der Minister nöher entwickelt. Die erste Neform betrifft die 
Militärdienstzeit, die durch das Gesetz von 1872 auf 5 Jahre festgesetzt 
worden ist, was bei allgemeiner Tienstpslich unmöglich ibnb werden 
kann. Man hatte sie denn auch später in der Praxis auf 4 Jahre, dann 
auf 40 Monale reduziert, jeht soll sie auf 3 Jahre fixirt werden. Hand 
in Hand mit dieser Reduktion der Militärdienstzeit soll für das Institut 
der abgelürzten Freiwilligen-Dienstzeit eine andere Grundlage geschaffen 
werden. Die Vorbedingung dieser Anderungen ist die Sicherung der unteren 
Cadres; die Unterofsiziere sollen nicht bloß durch Erhöhung des Soldes und 
die Aussicht auf größere Entschädigungen, sondern namentlich auch dadurch 
festgehalten werden, daß eine größere Anzahl von Zivilanstellungen den Mili- 
lärpersonen vorbehalten. wird. Im Zusammenhange mit diesen Neformen 
sieht 1) die Schaffung einer speziellen afrikanischen Armee aus älteren Mann- 
schaften als die der Hauptarmee und 2) die Bildung eines Truppenkorps, 
das außerhalb der normalen Konstitnierung der Armeekorps sleht, und in 
jedem Augenblick auf jeden Punkt sofort dirigiert werden kann; und 3) das 
Verlangen der Vollmacht, im gegebenen Fall ohne Einwilligung“ der Kammer 
über einen Teil der Reserven der aktiven Armee für den Fall einer an kinem 
gegebenen Punkte notwendigen größeren Anstrengung zu verfügen. Letztere 
Vorschläge sind durch die Erfahrungen hervorgerufen, welche man bei der 
Mobilmachung und Verwendingg der Truppen für den tunisischen Feldzug
	        
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