424 Ilalien. (Olt. 20 - Nov. 11.)
29. Oktober. Allgemeine Neuwahlen zur zweiten Kammer.
Trotz des neuen Wahlgesetzes, das die Zahl der Wähler vervierfacht
hat, was das Resultat der Wahlen als fehr unsicher erscheinen ließ,
erringt die Regierung Depretis und die gemäßigte Linke einen ganz
überwältigenden Sieg. Die entschiedenen Nadikalen und Republi-
kaner werden in der neuen Kammer kaum 30 Mann stark sein,
während es nunmehr feststeht, daß der größte Teil der Rechten sich
mit der Regierungspartei mehr oder weniger verschmelzen wird.
Die Klerikalen haben sich der Wahl durchweg enthalten.
10. November. Auch Sella, der frühere Finanzminister der
Konsorterie, dem Italien, wenn auch durch schwere Steuern, seine
finanzielle Konsolidation verdankt, erklärt sich in Novara seinen
Wählern gegenüber für eine, allerdings bedingte Unterstützung der
Negierung wider die Feinde der bestehenden Staatseinrichtungen
und der nationalen Monarchie.
Es war, sagt er, hark, ja gransam, als er Italien mit Steuern
überschüttete, aber er felost mußte sich der eisernen Notwendigkeit beugen.
„Wissen Sie, meine Herren, was uns bevorstand? — Das Schickfal Agyp-
tens; die Mächte, um uns stets liebevoll besorgt, gedachten uns mit einer
internationalen Finanzkontrole zu beglücken. Ein Botschafter hatte es ge-
wagt, mir davon zu sprechen; ich gebt ihn vor die Thür und arbeitete für
die Ehre meines Vaterlandes, und, Gott sei Dank, heute ist unser Schild
makellos.“ Auf die gegenwärtige parlamentarische Lage übergehend, meint
er, Deprekis hälte ihm wohl niemals besonderes Vertrauen eingeflößt, immer-
hin müsse er jedoch bekennen, daß an dem in Stradella entwickelten Pro-
gramme manches lobenswert wäre. Vor allem seien zwei Fragen mit dem
Heile des Landes aufs innigste verknüpft: die Agrarfrage und jene einer
besseren politischen Bildung der Massen, welche nur allzu leicht gewissen-
losen Wühlern oder Phantasten Heerfolge zu leisten geneigt seien.
II. November. Die italienischen Gerichte geraten mit der
päpstlichen Kurie über die Tragweite des Garantiegesetzes und der
darin ausgesprochenen Exterritorialität des Vatikans in Konflikt.
Ein päpstlicher Baumeister Martinncci hat wegen Bezahlung seiner
Forderung gegen die päpstliche Verwallung des Vatikans bei dem italienischen
Gerichte einen Prozeß eingeleitet und die erste Instanz hatte sich für kom-
petent erklärt. Darauf hatte der Papst im Mai d. J. Zum Zwecke der
Bekräftigung der ihm zustehenden sonveräuen Rechte ein Eiviltribunal in
mehreren Instanzen im Batikan errichtet und die Mächte davon in Kennt-
nis gesetzt. Seither gelangte jedoch der Prozeß vor den römischen Appel-
hof, der zwar den Kläger mit seiner Klage abweist, aber in der Kompetenz=
frage den Entscheid der ersten Instanz beslätigt, indem er ausführt: „Der
Majordomus zieht mit Unrecht die Person des Papsles in die Streilfrage
hinein; nicht gegen den Papfst, der kraft seiner geheiligten und unverletz-
lichen Stellung über jedwede Jurisdiktion erhaben ist; nicht gegen ihn
wurde ein gerichlliches Verfahren eingeleitet, sondern man hat zur Wahrung
von Privat-Interessen denjenigen, dessen Händen der wirtschaftliche Teil der
vatikanischen Verwaltung anvertraut ist, vor Gericht gezogen, geradeso wie