Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

448 Schweden und Uorwegen. (Juni 21.) 
Man hat behauptek, daß die Königsmacht die gemeinsame Thätigkeit der 
Staatsfaktoren, zu welcher die Teilnahme der Staatsräle an den Verhand- 
lungen des Storthing (s. 1881) Anlaß geben würde, abgewiesen habe. Diese 
Behauptung ist unbefugt. Um dem Slorthing zu willfahren, habe Ich 
wiederholt Vorschläge zu einer Veränderung im Grundgesetze eingebracht, 
und ein solcher Vorschlag befindet sich auch gegemwärtig beim Storthing. 
Die Bedingungen, an die Mein Borschlag geknüpft ist, sind, wie Ich glauble 
und auch jetzt noch glaube, unter unseren verfassungsmäßigen Nheltaiffen 
von besonderer Bedentung. Ahnliche Bedingungen finden sich auch in an- 
deren konstitukionellen Verjassungen, selbst in solchen, die weit slärkere kon- 
servative Garantien enthalten als die unfrige. Um den Wünschen d nr 
Storthing entgegenzukommen, habe Ich, trotz der Bedenken, die Ich dabeie 
hatte, ein Jahr nach dem anderen der Verlängerung der S Sessionen weit über 
die Zeit hinans, welche bei Einführung der jährlichen Sessionen festgesetzt 
wurde, Meine Zustimmung erteilt. Als Ich einem Beschlusse, daß ein 
Storlhing-Komitc nach Anflösung des Storthing beisammen bleiben solle, 
Meine Billigung versagte, schlug Ich, um dem Storthing zu willfahren, 
ein Verfahren vor, welches dazu angethan war, die Forderungen einer 
gründlichen bnen der Sache zu erfüllen. Das Storthing aber hat 
durch keinen Schritt von Seiten der ausübenden Gewalt, mochte er auch von 
den aufrichtigsten Wünschen für gemeinsame Arbeit und gutes Einverständ- 
nis ausgegangen sein, zu einer entsprechenden Haltung bewogen werden 
können. Mit ernster Bekümmernis habe Ich ersahren müssen, daß das 
Storthing geltend machen will, es könne ohne Zustimmung des Königs das 
Grundgesetz verändern. Meine überzeugung, daß eine solche Behauptung 
nuberechtigt ist, steht unerschütterlich jest. Nur König und Storthing im 
Verein haben die Macht, das Grundgeseh zu verändern. Mit tiefer Er- 
kenntnis von Meiner königlichen Pflicht will Ich mit aller Kraft für das 
Grundgesetz, das wir Alle, Ihr jowohl wie Ich, beschworen haben, und das 
ein Jeder unverbrüchlich halten muß, wenn der Friede und die Sicherheit 
des Staates bewahrt bleiben sollen, eintreten. Ich gebe Mich der Hoff- 
nung hin, daß die bedauerliche Spaltung und Erregung, welche sich in 
unse öffentliches Leben eingedrängt hat, nach und nach einer unbefangeneren 
und besonneneren Auffassung der bestehenden Verhältnisse und der Erforder- 
nisse der Staatseinrichtungen weichen, und daß alle ausgeklärten und pa- 
triotischen Männer, ein Jeder in seinem Kreise, Meine Bestrebungen zur 
Erreichung dieses Zieles unterstützen werden. Möge eine gnädige Vorsehung 
die unheilschwangeren Folgen eines jeden Versuches abwenden, die Grund- 
lage der staatlichen Ordnung, unter welcher das norwegische Volt so viele 
Jahre glücklich und frei gelebt hat, zu erschüttern. Mit der Bitte an 
Golt, er wolle es so fügen und Volk und Reich seinen Segen geben, erkläre 
Ich hiemit das 31. ordentliche Storthing für geschlossen, und verbleibe Euch, 
qgute Herren und norwegische Männer, mil aller koniglichen Gunst und 
Gnade wohl gewogen“. 
Die radikale Mehrheit antworket auf die Thronrede durch den in ge- 
heimer Sitzung gefaßten Veschluß, von dem traditionellen Brauche, den 
König beim Schluß des Storthings in corporc oder individuell zu begrüßen, 
diesmal Umgang zu nehmen. Die Majorität des Storthings scheint entschieden 
nach dem Ziele hinzustreben, die Verbindung mit Schweden zu lösen und in 
Norwegen eine republikanische Staatsform durchzusetzen. Und allem An- 
scheine nach steht eine Mehrheit der Bevölkerung dabei auf ihrer Seite. Der 
Kouflikt spielt aber nicht nur zwischen Krone und Kammermehrheit; wie in 
Dänemark sind auch in Schweden und Norwegen die Städte gegenüber dem 
radikalen Bauerntum konservativ gesinnt, vermögen aber gegen dasselbe
	        
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