Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Schmeden und Norwegen. (Anf. Juli.) 4490 
wenigstens in Norwegen nicht auf zulommen. Diesem seindlichen Anpralle 
Legenüber verharrt der König in der Slellung einer würdevollen Abwehr. 
Das scheint denn auch die einzig richlige Haltung zu sein; denn materielle 
Mittel, um der offenbar revolntionären Agitation entgegenzutrelen, besißt 
der König nicht. 
Formell dreht sich der Streit um das Veto-Recht der Krone. Be- 
züglich einer Veränderung des Grundgesetze# selbst nimmt der König als 
selbstverständlich und wohl auch mitl vollstem Recht ein unbedingtes Velo 
in Anspruch. Dagegen gewährt das Grundgesetz dem König für gewöhnliche 
Gesetze nur ein fuspentives Veto; eine Vorlage, die dreimal vom Storthing 
angenommen ist, erhält auch oyhne die königliche Sanklion Geseyeskraft. Aber 
wie steht es mit finanziellen Veichlüssen. zu denen man z B. die Forderung 
von Diäten rechnen kann? Tie Majorität des Storthings behauplet, hier 
stehe der Kronc ein Veto gar nicht zu und sie habe die Forderung der 
Bertretung lediglich zu erfüllen. Die Krone dagegen vertritt den Stand- 
punkt, ihr sei hier ein uneingeschränktes Beto gestattet, da die Verfassung 
die Einschränkung des Velos lediglich für Gesetzes vorschläge statniere. Wäh- 
rend also das Storthing an dem Vetlo des Königs einen Eingriff in jeine 
Machtsphäre sieht, klagt die Krone die Majorilät an, sie wolle die grund- 
gejehlichen Rechte der RAegierung #chmälern. und beide Teile berufen sich auf 
die Verfassung. So schließt die Legielaturperiode des Skorthings nach dieser 
Richtung hin mit einem Kouflilt, der im Herbst bei der Totalerneuerung 
des Storthings zunächst seine Lösung durch die Wähler finden soll. 
Anfang Juli. (Norwegen.) Die Agitation für die im Herbst 
stattfindenden Storthingswahlen beginnt schon jetzt und zwar in sehr 
energischer, rückhaltloser Weise seitens der Vauernpartei. 
Auf Lilleströmmen in Ackerschus-Amt stellt Sverdrup sein Pro- 
gramm auf: 1) das Aufrechthalten des Beschlusses vom 9. Juni 1880, 
2) die Erweilerung des Stimmrechts auf alle selbständigen Männer, 3) das 
VBolk in Waffen (Milizwerfassung), 4) Einführung der Jury, 5) Reformen 
in der Kommnunalverwaltung, Erweiterung der kommunalen Selbstregierung. 
Das große Ereignis der Bewegung ist jedoch eine Nede, die Björnstern- 
Björuson in einer Versammlung zu Stillestad im Stifte Drontheim hält, 
zu der etwa 3000 Bauern erschienen waren. Stillestad ist der alte Wahl- 
platz, wo das heidnische Bauernheer und das Heer Olaf des Heiligen zu- 
sammenstießen, und der Letztere nach einem bluligen Kampfe mit seinem 
ganzen Heere von den Bauern niedergehanen wurde. Mit diesem denk- 
würdigen Kampie vor Angen hatte man natürlich Stillestad zum Sammel- 
platze für die größle politische Volksversammlung gewählt, die in Norwegen 
bisher stattgefunden hat. Björnson hält eine Rede, die so revolutionär wie 
möglich ist. Er fordert direkl zur Beseitigung des Königtums und Auf- 
hebung der Union mit Schweden auf. „Wenn das Königtum nicht das 
absolute Velo aufgeben könne" — sagt Bj jörnson — „dann müßte das Volk 
das Königtum aufgeben.“ Bei der bevonlehenden Storthingswahl handle 
es sich um nichts Geringeres, als um die Besiegung des absoluten Betos 
und des Königlums. Diese Außerungen sinden nach den Berichten der ra- 
dikalen Organe „donnernden Beifall“. In einzelnen radikalen Blättern 
beginnt man denn auch schon, darüber zu diskutieren, wie man sich am 
zweckmäßigsten einzurichten habe, falls man sich für die Republik entschließen 
sollte. So schnell geht es indes doch nicht. Die norwegischen Bauern sind 
keine Frangosen. Was dagegen die königliche und schwedische Partei 
anstrebt, plandert sie in Korrespondenzen deutscher Negünsengsbliuter. selbst 
Schulthess. Europ. Geschichtslalender. XXNIII. Bd. 29
	        
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