Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Rußland. (März 2 7.) 455 
Es kommt alles darauf an, wer auf ihn Einfluß genug hat, um zur Macht 
zu gelangen. Ignatiew ist dem Zaren unsumpathisch wegen seines Charak- 
ters und er mochte ihn gern los werden. Aber er hat niemand, den er an 
seine Stelle sehen möchte. Pobedonosew, Woronzow sind keine Negierungs= 
männer, sondern gute Freunde. Aksakow, Katlow aber, unterstützt durch 
Pobedonoszew, durch die Fürstin Obolenski und andere, haben sich in der 
Gunst festgesebt und halten Ignatiew, trotz einer jahlreichen Partei in 
Petersburg, welche besonders in den letzten Wochen mit Hochdruck an dem 
Sturze Ignatiews arbeitet. Diese Peters burger Partei besteht meist aus 
den alten Gegner der Morskauer Slawisten, und so stehen sich wieder die 
Petersburger „Teutschen“ und die Moslauer Slawisten gegenüber. Alsakow 
aber hat einen beträchtlichen Borsprung vor den Gegnern“. 
2. März. Skobeleff, der über Genf, München, Prag und 
MWarschau nach Petersburg jurückkehrt, spricht sich in Warschau 
nochmals in seiner Weise aus. 
ezu einem Lolal, wo fast nur russische Offiziere verkehren, äußert er 
nach dem „Verliner Tagblatt“: „Meine Herren! Auf Befehl meines Kaisers 
bin ich wieder in meinem gelieblen Vaterlande, für das wir so gern unser 
Leben geben. Die verlogene westenropäische Presse nannte mich einen 
Schwätzer; Sie, meine Herren, kennen mich, Sie wissen, daß ich kein Mann 
von vielen Worten, sondern ein Mann der That bin; nur die schamlose 
Frivolität unserer Feinde löste mir die Zunge. Ich befinde mich nicht 
mehr in dem Alter, in welchem einem der Verstand mit der Zunge davon 
geht: was ich sprach, war lehnmal bedacht und überlegt. Jeder gute Russe 
mußte so sprechen — und Sie, meine Freunde, wissen, der beste Russe ist 
unser Kaiser. Wie er über die große flavische Sache denkl, wissen Sie, 
weiß Europa, und wenn Sie mich dennoch auf Befehl unseres Kaisers bier 
sehen, so erblicken Sie darin eine neue Demütigung von der Seite jenes 
Mannes, der durch Blut und Eisen ein Neich gegründet, das nur „durch 
russisches Blut und Gisen ertrümmert werden kann und muß. Ferner 
berichtet der Prager „Ezas“: Skobeleff begab sich kurz nach seiner Ankunft 
in Warschau mit General Paniutin in die Delikatessen-Handlung Stemkowsky. 
Panintin traf dort einen bekannten Polen, welchem er sagte, daß Skobeleff 
mit ihm ein Glas zu leeren wünsche. Dieß veranlaßte sämtliche Gäste, sich 
um Skobeleff zu schaaren. Dieser erhob den Kelch und sprach: „Meine 
Herren! Ich weiß nicht, wie die Negierung von Euch denkt, doch ich gönne 
das Beste den Polen und wünsche lebhaft, daß sie mit uns einen Körper 
bilden mögen, wie dies Serbien und Bulgarien bilden sollen. Sind wir 
doch Alle Brüder! Bedenkt aber, wenn hier keine russische Garnison wäre, 
so hättet Ihr eine deutsche, dann . . .“ Hier unterbrach sich Skobeleff und 
leerle sein Glas. Das Lokal füllte sich immer mehr mit Gästen, Skobeleff 
sprach hierauf französisch folgendes: „Im lehten Kriege befehligte ich das 
sechzehnte Regiment. Dieses hat sich am tapfersten gehalken, weil die Offi= 
ziere Polen waren. Seildem lernte ich Sie achten und schätzen. Heute 
erhebe ich als Repräsentant der russischen Nation den Kelch auf unser ge- 
meinsames Vaterland. Hoch! Polen soll leben!“ Von einem antheutischen 
Wortlaut der Auferungen Skobelesss seit dem zu Januar ist selbstverständ- 
lich keine Rede, aber die Tendenz außer Zweifel 
7. Märg. Skobeleff wird vom Kaiser enpfangen, aber allein: 
wenn er ihm eine Nüge erteilt, so hat sie wenigstens keine Zeugen. 
Der General kehrt nach Minsk, seinem Standquartier, zurück. 
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