Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Rubland. (April Anf. 2.) 457 
eine 30jährige Abgabenfreiheit zugesagt. Die Thätigkeit Rußlands in diesen 
Gegenden ist eine stetige und konsequente, und England scheint sie vollkommen 
gewähren zu lassen. Das ganze zwischen Orus und dem Kaspischen Meer 
liegende Gebiet wird nach und nach russisch. 
Anfang April. Unter dem Titel „Lose Blätter aus dem Ge- 
heimarchiv der russischen Regierung“ werden in Leipzig im Verlage 
von Dunker und Humblot aktenmäßige Beilräge zur neuesten Ce- 
schichte der russischen Verwaltung und der Beamtenkorruption ver- 
öffentlicht. 
Tie Enthüllungen des Buches über die Korruption der Beamten von 
unten bis oben sind in ihrem Detail gerade mu überwältigend. Die Korrup= 
tion ist in der That der tiefste Schaden, an dem Rußland leidet. Aus ihr 
zieht der Nihilismur eine Hauptkrafl, sie führt ihm stets neue Anhänger 
zu; die unermeßlichen finanziellen Hilfsqnellen Nußlands bleiben unent- 
wickelt, die Korruption läßt sie nicht auflommen; man kann nicht wagen, 
das direlle Steuersystem aus ubilden, denn in den Händen des korrupten 
Beamtentums würde es nur eine Erpresjungeschraube mehr werden und der 
Ertrag in seine Taschen fließen; alle Unternehmungen des Staates werden 
mit Unfruchtbarkeit geschlagen und ein bleiener Truck auf die Bevölkerung 
gelegt; der Kriegeruf gegen die Deutschen findet so lebhofte Zustimmung 
unter den Beamten, weil die zunerlässigen Beamten am ehesten noch aus 
ihnen gewonnen werden können. So wird die Spiritussteuer, die einzige, 
die reiche, ja überreiche Erträge bringt und mehr als ein Trittel der Staals- 
einnahmen gewährt, zum großen Teil von Bramten aus den Ostieeprovinzen 
verwaltet, und diese, sowie die Friedenerichter, sind diejenigen, welche einen 
gewissen Nuf der Unzugänglichleit wenigstens für direkte Bestechung ge- 
nießen. Jede Reform in RNußland ist ein Trugbild, solange der gegen- 
wärtige Beamtenstand regiert, der die aufs vollkommenste ausgebildete Kor- 
ruption darstellt, welche die Welt noch gesehen hat. Ter Versuch zur 
Heilung kann nur durch unmittelbare Heranziehung der Bevölkerung zur 
Mitregierung, in welcher Art und Form er auch immer geschehen mag, ge- 
macht werden. 
2—19. April. Neue IJundenverfolgungen in Südrußland. 
Die Wiener Polit. Korresp.“ gibt von deufelben folgende Ubersicht: 
Den Reigen der Gräuel eröffnete die Indenhetze in Weli-Ouculow, einem 
von der Eisenbahnstalion Mordarowki 12 Werst entlegenen Städtchen, in 
dem zur Zeit des Jahrmarktes am 2. April 88 Judenhäuser und 30 Ma- 
gazine demoliert wurden. Am 10. und 11. fand die Verwüstung von Balla 
statt; am 12. April wurden Abogowka, eine jüdische Kolonie in der Nähe 
von Balta, und Latyssczow überfallen. Da und dort sind 15 Judenhäuser 
der Erde gleichgemacht und alles Hab und Gut der Juden vernichtet wor- 
den. Am 13. fanden in Dubossary und Okna Judenheben statt, die sich 
von den früher erwähnten dadurch unterschieden, daß daselbst nur die Häuser 
demoliert und alle Habseligkeiten der IJnden vernichlet wurden, dagegen weder 
geraubt noch gemordet wurde. Fürchterlich scheint sich aber wieder die am 
16. April in Nowa Praga, einem im Elisabethgrader Kreise unfern von 
Alexandrowo liegenden Marklflecken, slattgehabte Indenhebe gestaltet zu 
haben. Uber 2000 mit Dreschflegeln, Stangen, Hacken und Sensen bewaff- 
nete, balbirunkene Kagapen überfielen nämlich am frühen Morgen den Ort, 
steckten die Häuser der Juden in Vrand, verwüsteten und plünderten deren 
Habseligkeiten 1 mißhandelten die wehrlosen Unglücklichen in der grau-
	        
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