464 Kußland. (Juni 21.— Juli 23.)
waltsame überführung der Griechisch-Unierten zur russischen Staatskirche
und die Unterordnung der Katholiken unter das römisch-katholische Kollegium
in Petersburg. sowie die Russifizierung der polnischen Schulen. Mit den
Westlern verbindet ihn nur seine Vorliebe für die klassischen Studien auf
den Schulen, deren Pflege er jedoch eine so unerbittliche Strenge angedeihen
ließ, daß während seiner Amts führung die Selbstmorde unler den Studie-
renden fast widemich auftraten. Dies erregte so allgemeinen Unwillen, daß
Alexander llI. sich endlich veranlaßt fah, Tolstoi zu entlassen, welcher zu-
nächst vollständig von der Schaubühne abtrat.
„Für Europa ist eine Pause zum Aufalmen gewährt worden. Der
Krieg ist vorläufig außer Sicht. Aber das alte Dilemma bleibt gleich der
Sphinx auf dem Throne von Theben: entweder bekommt Rußland auf lange
Zeit in und mit sich selbst zu thun, und es entwickelt sich dort eine für
das Ausland unbedenkliche Dezentralisation; oder die gährende Masse muß
gleich den Effluvien des Vulkans nach außen abgelassen werden, wobei als-
dann eine Abzwickung des nordwestlichen Länderringes und eine Eindämmung
der Flut ins Innere zur gebieterischen Notwendigkeit würde. Auch Ruß-
land hat sein Elsaß und sein Metz“.
21. Juni. Tolstoi erläßt ein sehr energisches Zirkular an
die Gouverneure gegen jeden Versuch einer Erneuerung der Juden-
heen und macht sie für die genaueste Ausführung seiner Vefehle
persönlich verantwortlich.
23. Juni. Die Regierung veröffentlicht einen modifizierten
Zolltariff, der mit dem 13. Juli in Kraft tritt. Eine Reihe bis-
heriger Zollsätze wird dadurch erhöht, sichtlich aber mehr in fis-
kalischem, als in protektionistischem Interesse.
27. Juni. Fürst Labanoff wird als Botschafter von London
nach Wien, Baron Mohrenheim nach London und v. Nelidoff nach
Konstantinopel versetzt.
7. Juli. General Skobeleff plötzlich. Die panflavische
Partei verliert in ihm für einen eventuellen Krieg ihren designierten
Obergeneral.
13. Juli — 2. August. In Moskau tagt gelegentlich der In-
dustrieausstellung auch ein russischer Handels= und Industriekongreß.
Mitte Juli. In Petersburg haben sich schon seit längerer
Zeit zwei geheime Gesellschaften gebildet, welche sich zur Aufgabe
gesetzt haben, die Person des Kaisers zu beschirmen, die „Heilige
Liga“ und die „Freiwillige Schutzwehr“ (dobrowomaja ochrana).
Die erstere wird von Pobedonoszew, die andere vom Grafen Woron-
hoff-Daschkoff geleitet; jene beschäftigt sich einfach mit dem Ausspionieren
von Attentaten, diese will zugleich eine politische Partei sein. Beide streben
auf dem Wege polizeilicher Fireiwilligkeit nach der Macht und befehden sich
daher im Geheimen aufs heftigs
23. Juli. GCelegenlig einer Tauffeier in der kaiserlichen Fa-
milie erscheinen alle Damen in nationaler Tracht und die Offiziere