Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

516 Übersichl der politischen Enlwichelung des Jahres 1882. 
der Europäer mit der Wiederkehr der alten türkischen Pascha-Wirt- 
schaft vertauschen müßte. Aber er suchte den Sultan für seine 
Zwecke auszunützen, wie der Sultan ihn für die seinigen. England 
stand allen diesen sich kreuzenden Bestrebungen vorerst ziemlich un- 
befangen und fast gleichgültig, jedenfalls zuwartend gegenüber: der 
sog. Panislamismus machte ihm wenig Bedenken, solange seine Hanu- 
delsinteressen dadurch in keiner Weise beeinträchtigt wurden, und der 
Staatsgedanke ist in England ein viel reinerer und freierer als in 
Frankreich, so daß die Interessen der europäischen Gläubiger Agyp- 
tens ihm für die Bestimmung seiner Handlungsweise durchaus nicht 
in erster Linie standen. 
Mgypten Auf das Andringen der Militärpartei und um für sich selbst 
gegen einen Stützpunkt zu gewinnen und zu geordneten Zuständen zu ge- 
bask langen, hatte der Khedive die Notabelnversammlung einberufen und 
in den letzten Tagen des Jahres 1881 in Kairo mit einer Thron- 
rede eröffnet. Diese nun machte sich, wie es scheint, im Einverständ- 
nis mit dem Ministerium Scherif Pascha, sofort daran, ein sog. 
organisches Gesetz d. h. eine Art Verfassung für Agypten zu ent- 
werfen und durchzuberaten. Auf die Versammlung hatten die eng- 
lischen und französischen Generalkonsuln und Generalkontroleure 
keinen direkten Einfluß und der Widerstreit der eurbpäischen und 
der ägyptischen Interessen trat denn auch alsbald in dem entscheiden- 
den Punkte zu Tage. Die Notabelnversammlung verlangte in der 
neuen Verfassung für sich das volle Budgetbewilligungsrecht und 
zwar für den auswärtigen wie für den inneren Dienst, womit die 
Möglichkeit gegeben gewesen wäre, die Forderungen der auswärtigen 
Gläubiger einer näheren Prüfung zu unterziehen und allenfalls zu 
beschränken. Das widersprach nun freilich den Fermanen des Sul- 
tans und den Rechten der englisch-französischen Generalkontrole; 
die Generalkonfuln Englands und Frankreichs protestierten und 
auch der Ministerpräsident Scherif P. wollte nicht so weit gehen, 
noch weniger wagte es der Khedive. Scherif P. trat zurück und 
wurde durch Mahmud Varudi Pascha ersetzt. Dieser brachte dann 
eine Art Vergleich zwischen dem Khedive und den Notabeln zu stande, 
nach welchem die heikelsten Punktle des Budgets durch Berständig- 
ung zwischen einem Ausschuß der Notabeln und dem Ministerium 
erledigt werden sollten. Eine Lösung der schwierigen Frage war 
in diesem Vergleich freilich nicht zu erkennen. Indeß der Khedive 
bestätigte unter dieser Bedingung das neue Statut und gleich darauf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.