Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

538 Ubersicht der polilischen Enkwickelung des Jahres 1882. 
auf dem bisherigen Wege einer unaufhörlichen Beunruhigung und 
durch die Aufrechthaltung eines Zustandes, der noch lange dauern, 
aber doch ganz unmöglich für immer so bleiben kann, kommen sie 
jedenfalls weiter, aber doch kaum zum Ziele. Wie sich die Dinge 
in den letzten Jahren entwickelt haben, streben die Iren nicht nur 
nach gewissen billigen Freiheiten, nicht nur nach einer gewissen 
billigen Antonomie in ihren speziellen Angelegenheiten, sondern, 
wenigstens virtuell, nach völliger Selbständigkeit, nach einer totalen 
Loslösung von Eugland und das kann ihnen dieses ohne Selbstmord 
nie und nimmer zugestehen. Denn der Gegensatz zwischen beiden 
in allen ihren Anschauungen und Bestrebungen ist ein so durch- 
greifender und der Haß der Iren gegen die Angelsachsen ein so 
gründlicher, daß ein felbständiges Irland sich jedem Feinde Eng- 
lands in die Arme werfen würde, der ihm Aussicht böte, an dem- 
selben Nache nehmen zu können. Aber auch das Mögliche kann 
England den Iren nicht alles auf einen Schlag gewähren: felbst 
wenn es entschlossen wäre, darin bis zur alleräußersten Grenze des 
Zulässigen zu gehen, so kann dieß naturgemäß doch nur allmälig, 
nur Schritt für Schritt geschehen, ohne in das nun einmal zu Recht 
Bestehende auf einmal allzu tief einzuschneiden. Man muß gestehen, 
daß Gladstone dieß seinerseits redlich versucht hat trotz alles Wider- 
standes von rechts und von links. Die von ihm im vorigen Jahre 
durchgesetzte Landakte war eine große liberale Maßregel, wenn auch 
allerdings lange nicht genügend, um allen gerechten Beschwer- 
den der Iren abzuhelfen und das Land zu befriedigen; aber es 
war wenigstens ein Anfang und eben vorerst alles, was er im 
Parlament durchzubringen hoffen konnte. Freilich setzte er daneben 
auch eine Zwangsakte, kraft welcher die Landliga aufgehoben und 
die Häupter derselben als „Verdächtige“ auf unbestimmte Zeit im 
Gefängnisse von Kilmainham interniert wurden. Doch betrachtete er 
jene als unantastbar und trat einem Versuche des Oberhauses, ihre 
Wirkungen zu vereiteln oder doch einzuschränken, im Unterhause fest 
entgegen; diese dagegen war er bereit zu mildern, sobald und so 
weit es die Zustände in Irland selbst und die Forderungen an 
Ordnung und Recht nur irgend erlauben würden. Ja er ging da- 
rin nur zu rasch und unbedacht vor und sah sich alsbald jämmer- 
lich enttäuscht. Zu Ende April glaubte er in einem ungewöhnlich 
gemäßigten Antrage eines parnellitischen Unterhausmitgliedes eine 
ihm entgegengestreckte Hand zur Versöhnung zu erblicken und knüpfte
	        
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