Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Deutsch- 
land. 
Das 
österr.= 
dentsche 
Bünd- 
nis. 
540 Ubersicht der polilischen Enlwichelung des Jahrrs 1882. 
in Wahrheit um kein Haar besser, als sie es zu Ende 1881 gewesen 
waren. Es war dafür doch nur ein geringer Trost, daß wenigstens 
noch vor Ende 1882 der irischen Polizei ein Faden in die Hände 
fiel, durch dessen weitere Verfolgung das Geheimnis des Mordes im 
Phönix-Park zu Dublin enthüllt wurde; es fällt das aber nicht mehr 
ins Jahr 1882, sowenig als die weitere Entdeckung einer von den 
Vereinigten Staaten aus angezetlelten Verschwörung, durch welche, 
wie es scheint, ganze englische Städte vermitlelst Dynamit in die 
Lust gesprengt werden sollten. 
Verglichen mit Frankreich und England erfreuten sich die 
übrigen Staaten Europa's im gangen Laufe des Jahres 1882 einer 
viel größeren Ruhe. Zwar hat Deutschland alle Ursache, gegen 
Osten wie gegen Westen fortwährend auf seiner Hut zu sein, und 
ist sogar bis auf einen gewissen Grad gezwungen, nach beiden Seiten 
fortwährend entschieden Front zu machen: ein Ende dieser Zwangs- 
lage ist für Deutschland zunächst auch gar nicht abzusehen. Allein 
die Eroberung von Tunis, durch welche Frankreich das aufstrebende 
Italien tief erbittert und sich zunächst völlig entfremdet hat, die 
ägyptischen Ereignisse, welche die westmächtliche Allianz gesprengt 
und an die Stelle derselben ein tiefes Mißtrauen zwischen Frankreich 
und England gesetzt haben, endlich der Sturz und der vorzeitige 
Tod Gambetta's haben die Gefahr eines Revanchekrieges von Seite 
Frankreichs doch sehr in die Ferne gerückt, während in Rußland 
seit der definitiven Ernennung des Herrn v. Giers zum Minister 
des Auswärtigen und der Entlassung Ignatieffs als Ministers des 
Innern die Friedensströmung wenigstens für einige Zeit die Ober- 
hand gewonnen hat. Solange das österreichisch-deutsche Bündnis 
feststeht wie bisher, sind sowohl Frankreich und Nußland die Hände 
mehr oder weniger gebunden und zur Zeit wenigstens scheint dieses 
Bündnis noch durchaus fest zu stehen. Allerdings ist nicht zu 
läugnen, daß in Ssterreich selbst im Grunde nur die Bevölkerungen 
der deutschen Provinzen laut und fest zu demselben stehen, während 
die Slaven, die im Reichsrate die Majorität bilden und das Heft 
in Händen haben, sich ihm ausgesprochenermaßen nur widerwillig 
sügen und unzweifelhaft mehr nach St. Petersburg als nach Berlin 
gravitieren und mehr dort als hier einen Rückhalt suchen. Je mehr 
indes Ssterreich seinen Schwerpunkt von der deutschen nach der sla- 
vischen Seite hin verlegt und sich aus einem vorwiegend deutschen 
allmählich in einen vorwiegend flavischen Staat umgestaltet, desto
	        
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