Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

548 Übersict der polilischen Eulwichelung des Jahres 1882. 
Gebiet sind und daß sie wie die Vlinden von der Farbe sprechen. 
Der wirtschaftliche Wettkampf ums Dasein, in gewissem Sinne 
allerdings ein Kampf aller gegen alle und jeden anderen, wie er 
durch das Recht der Individuen, durch die Handelsfreiheit und Ge- 
werbefreiheit eröffnet wird, hat allerdings seine großen Schatten- 
seiten, aber diese liegen wenigstens in der Natur der Dinge selbst. 
Der Kampf der Interessengruppen jedoch, dem durch den Reichs- 
kanzler freie Bahn geöffnet wurde und den er vielfach begünstigt 
und fördert, ist ein künstlicher und daher noch viel schlimmerer: 
schon jetzt treten die Agrarier, die Kleingewerbemeister 2c. so rück- 
sichtslos mit Forderungen in ihrem einseitigen Interesse auf, daß 
sie notwendig den Widerstand oder den Nacheifer anderer Interessen- 
gruppen hervorrufen müssen, so daß ein neuer Krieg aller gegen 
alle, nur in anderer Form, in Aussicht steht, der für den einzelnen 
kaum viel ersprießlicher, für den Staat aber sehr viel gefährlicher 
wäre. Die öffentliche Meinung wird dadurch beunruhigt und hin 
und her gezerrt, was um so schlimmer ist, als die meisten gar nicht 
in der Lage sind, zu beurteilen, um was es sich in diesen Fragen 
eigentlich handelt und was die nächsten und die weiteren Folgen sein 
möchten. Der Reichstag hat die im Laufe des Jahres vom Neichs- 
kanzler vorgeschlagenen und vom Vundesrat genehmigten Zollerhöh= 
ungen samt und sonders abgelehnt und scheint entschlossen, über die 
ehrliche Probe nicht hinausgehen zu wollen. Der Reichskangler be- 
ruhigte sich indes dabei nicht und scheint gewillt, weitere derartige 
Anträge zu stellen, obgleich dabei neue und heftige Debatten gar 
nicht zu vermeiden sind. Dagegen hat er bis jetzt einer grundsätz- 
lichen Antastung der Gewerbefreiheit noch widerstanden. Die Klein- 
gewerbemeister haben aber in Magdeburg einen großen Handwerker- 
tag abgehalten und fordern seither mit steigendem Nachdruck die 
Wiedereinführung von Zwangsinnungen, den Befähigungsnachweis 
und die Erschwerung des Großbetriebes. Von wirklicher Hebung 
des Handwerks ist dabei nur nebenbei und als Ornament die Rede: 
der wahre Zweck ist kein anderer als Verminderung der Konkurrenz, 
wobei diese Kleingewerbemeister nicht einsehen, daß sie sich auf der 
einen Seite mit dem Großbetriebe, der dem VBedürfnisse der Zeit 
entspricht, in einen aussichtslosen Kampf einlassen und auf der an- 
deren die Arbeiter, deren Aussichten sie beschränken, mit Gewalt in 
die Arme der Sozialdemokratie treiben. In Ssterreich ist es ihnen 
mit Hilfe der Regierung gelungen, ihren Willen durchzusetzen. Der
	        
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