24 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 24.)
Reichskanzler erörtert hierauf das Recht des Königs in Preußen zu einer
entschieden persönlichen Politik nach den unzweifelhaften Bestimmungen der
Verfassung und erhärtet mit großer Lebhaftigkeit dieses Recht durch die
ganze Geschichte Preußens, namentlich auch durch die allerneueste Geschichte
jeit 1862 und wie ohne sie das deutsche Reich nie erstanden wäre und es
einen deutschen Reichstag z. Z. überall nicht gäbe und fährt dann fort:
„Ich komme auf den zweiten Teil des Erlasses, wie der Herr Vorredner
ihn nannte, was die Beamten anlangt. Auch die Frage würde, wie ich
schon sagte, sehr viel einfacher liegen, wenn man nicht die Figur des Königs
aus der Bildfläche zu verdrängen bemüht wäre und ihr die Fiktion unter-
zuschieben, als wenn das Ministerium Bismarck-Puttkamer u. s. w. einzig
die Regierung von Preußen führe, — eine unwahre Fiktion, diese Legende,
die darauf berechnet ist, die königliche Gewalt abzuschwächen, — vielleicht
nicht mit der weiteren Aussicht berechnet, aber sie hat diese Wirkung. Wenn
das nicht wäre, wenn die Beamten sich immer bewußt wären, daß sie dem
König gegenüberstehen, dem sie den Eid geschworen haben, wenn sie sich
klar machen, daß der König, dem sie den Eid der Treue und des Gehorsams
geleistet haben, an der Spitze der Politik steht, dann würde auch deren
Haltung manchmal eine andere sein. Der König hat den Eindruck gehabt,
daß er den Beamten gegenüber zu sehr in den Hintergrund, so zu sagen,
in das Hintertreffen geschoben wird, und hat das Bedürfnis gefühlt, den
Beamten den Eid, den sie geleistet haben, in Erinnerung zu bringen. Hat
er dazu nicht das Recht? Er tut das in der schonendsten Weise, so daß
selbst dem Herrn Vorredner eigentlich ein Objekt seines Zornes mangelte.
Er sagte, es sei das unklar gesagt, und wahrscheinlich seien dabei zwei Federn
tätig gewesen, wobei er mir vielleicht den unklaren Teil zuschreibt oder
den klaren, ich weiß es nicht. Aber soviel kann ich sagen: der ganze Erlaß
ist vom ersten bis zum letzten Buchstaben aus einem Gusse, nach dem Willen
des Königs. Die Ansprüche, die der König den Beamten gegenüber stellt,
gehen nicht zu weit und durchaus nicht so weit, wie in dem Eulenburg'schen
Erlasse vom Jahre 1863. Ich weiß nicht, ob ich den, so wie er da steht,
gegengezeichnet haben würde. Damals in heißspornigem Kampfes- zorn war
er möglich, heutzutage nicht, er geht mir zu weit. Daß ein Beamter in
seiner eigenen Wahl sich seines Eides erinnern sollte, das wird gar nicht
verlangt; seine eigene Wahl, die Ausübung seines Wahlrechtes ist vollständig
frei (hört hört links), sie wird nicht berührt, sondern es ist ja ausdrücklich
im Erlaß gesagt: „Mir liegt es fern, die Freiheit der Wahlen zu beein-
trächtigen". Der Erlaß bezieht sich ja — und ich begreife nicht, wie der
Herr Vorredner darin Klarheit vermissen konnte, der Erlaß ist ihm vielleicht
nicht übel, nicht bös genug, aber klar ist er vollständig. der Erlaß wendet
sich ausdrücklich an die Art der Beamten, außerhalb der eigenen Wahl
tätig zu sein, und unterscheidet da zwischen zwei Kategorien der Beamten,
den politischen und den unpolitischen. Beiden soll die Freiheit, zu wählen,
wie sie wollen, gar nicht beschränkt werden; aber von den politischen Be-
amten spricht Seine Majestät die Meinung aus, daß ihr Eid der Treue sie
verpflichtet, „die Politik Meiner Regierung zu vertreten“ , Nachdem vorher
gesagt ist in Bezug auf die Minister, daß „gegen Zweifel, Verdunkelung
und Gutstellung die Vertretung der königlichen Rechte erwartet wird“.
Der Herr Vorredner fragte, was unter dieser „Vertretung“ verstanden würde.
Da ich den Erlaß gegengezeichnet habe, so wird meine Auslegung auch wohl
die authentische sein. Ich verstehe darunter, daß ein politischer Beamter
bei aller Freiheit der Wahl, wenn er z. B. fortschrittlich wählen wollte,
doch der Verpflichtung nicht überhoben wäre, Lügen, was ich vorhin „poli-
tische Brunnenvergiftung“ nannte, zu widerlegen nach seinem besten Ge-