Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

568 üÜbersch! der polilischen Enlwichelung des Jahres 1882. 
bewahrt. Die Furcht, daß sie eine Vereinigung mit dem neuerstan- 
denen so mächtigen deutschen Reiche anstreben könnten, die bis hoch 
hinauf gehegt zu werden scheint, ist ein eitles Gespenst: weder denken 
sie selbst daran, noch wird das in Deutschland von irgend welcher 
Seite gewünscht. Begründeter ist die Vesorgnis, daß sie früher oder 
später das Veispiel der Czechen, denen es so gut gelungen ist, nach- 
ahmen könnten. Eine ähnliche Sezession, oder wie man es nennen 
will, der Deutschen Ssterreichs wäre freilich ein ganz anderes Ding, 
als die der verhältnismäßig unbedentenden Cgechen war und den- 
noch hat selbst vor diesen die Gewalk schließlich die Waffen gestreckt. 
Bis jetzt haben die Deutschen jeden derartigen Schritt einmütig und 
entschieden von der Hand gewiesen und werden wohl auch dabei be- 
harren. Sie fühlen sich wohl als gute Deutsche, aber auch als gute 
Oslerreicher und geben sich darüber keiner Täuschung hin, daß sie 
damit Ssterreich als solches in seinem innersten Lebensnerv bedrohen 
würden. Das wollen sie nicht, sie hängen mit Herz und Hand am 
Reich und an der Dynastie, mit der sie dasselbe in Jahrhunderten 
zusammen aufgerichtet haben, am Reich, wie es ist und so lange es 
ist, was es noch ist. Und sie werden daher weiter kämpfen, so lange 
und soweit sie es nur immer vermögen; aber ihre Aussichten sind 
allerdings trübe und werden immer trüber. Bis jetzt ist es ihnen 
nicht gelungen, den eisernen Ring der Majorität des Reichsrats zu 
durchbrechen und das Ministerium Taasse zu stürzen, und es ist, 
fast möchte man sagen, auf absehbare Zeit auch nicht wahrscheinlich, 
daß ihnen das gelingen werde. Schwere Schläge stehen ihnen erst 
noch bevor. Was durch den Neichsrat zu ergielen war, haben die 
Slaven im Grunde nunmehr fo ziemlich alles erzielt. Es erübrigt 
nur noch, daß die Regierung die Landtage von Böhmen und von 
Krain auflöse und Neuwahlen anordne, um dort den Czechen, hier 
den Slovenen die Majorität zu verschaffen und das wird sie dem 
Andrange ihrer Partei wohl nicht mehr allzu lange versagen können. 
Dann aber wird die ganze seit 1879 eingetretene Bewegung vom 
Reichsrate besser in die Landtage verlegt werden. Thatsächlich wird 
die Entscheidung über die wichtigsten Angelegenheiten dem Reichsrate 
mehr und mehr entzogen werden, thatsächlich sich Österreich mehr 
und mehr überwiegend föderalistisch gestalten. Einige Zeit und gute 
Gelegenheit wird es dazu allerdings bedürfen; ein so alter Organis- 
mus läßt sich nicht im Handumdrehen umwandeln; aber die Ansätze 
sind dazu da, der Grund ist gelegt. Dann wird wohl auch das
	        
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