Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Ubrrsichl der polilischen Eulwichrlung des Jahres 1882. 569 
vereinigte Königreich Vöhmen, dieser höchste Traum der Czechen, 
und die Krönung des Kaisers als Königs von Böhmen im golde- 
nen, heiligen Prag wieder auftauchen; die Polen Galiziens haben 
bereits fast alles erreicht, was sie nur wünschen können, und der 
letzte Nest wird sich dannzumal wohl auch finden; selbst die annoch 
schwachen Slovenen dürsen nicht verzweifeln, so sehr von ferne ihnen 
vorderhand auch noch die Sdee eines neuen Königreichs Illyrien 
winkt. Wie sich aber auf solcher Grundlage die Machtstellung Äster- 
reichs gestalten wird, ist keine menschliche Scele jetzt schon voraus- 
zusehen im stande. Dann freilich werden auch die Deutschen ster— 
reichs sich näher zusammenschließen und eine neue Stellung suchen 
müssen, nicht elwa dadurch, daß sie sich von den übrigen unter dem 
Szepter des Kaisers vereinigten Provinzen ganz loslösen, wohl aber 
dadurch, daß die Bedingungen dieser Vereinigung andere werden, 
namentlich daß sie, wenn sie in keiner Weise mehr über andere 
herrschen und nicht mehr die anerkannt führende Nalion sein sollen, 
auch nicht mehr bloß für andere und für die sog. passiven Provinzen 
werden zahlen und dadurch von Steuern und Abgaben werden er- 
drückt werden wollen. So gang nahe ist eine solche Krisis für 
Hsterreich und für die Deutschen slerreichs allerdings noch nicht; 
aber die gegenwärlige Entwickelung der Dinge ist eine so unzwei- 
denlige und verhältnismäßig auch eine so rasche, daß die letzten 
Eventualiläten derselben nachgerade wohl ins Auge gefaßt werden 
dürfen. 
Ungarn hat in diesem wie in den letzten Jahren schon eine 
von Österreich wesentlich verschiedene Entwickelung genommen. Wie 
die Deutschen in Österreich, so stellen die Magyaren in Ungarn 
nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung dar; aber während dic 
Deutschen in jenem die Hegemonie verloren haben, so sind die Ma- 
gyaren in diesem dagegen entschlossen, dieselbe nicht aus den Händen 
zu lassen, im Gegenteil ihre Neihen nach Möglichkeit und Kräften 
zu verstärken. Da die Kroaten von vorneherein ausgeschieden waren 
und ihnen eine ziemlich weit gehende Selbständigkeit zugestanden 
wurde, so hatte das den Slovaken, den Rumänen und selbst den 
Serben gegenüber keine allzu großen Schwierigkeiten, wohl aber 
gegenüber den Deutschen, die einer großen Kulturnation angehören 
und den Magyaren nicht nur gleich stehen, sondern ihnen an Bil- 
dung vielfach überlegen sind. Dagegen stehen sie an politischen Fähig- 
keiten den Magyaren unbedingt nach, auch kam es den Magyaren 
Ungarn.
	        
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