Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

570 Übersicht der polilischen Enlwilelung des Jahres 1882. 
sehr zu gute, daß jene meist ziemlich zerstreut im Lande umher wohnen, 
also einer gewissen Einheit entbehren und noch mehr, daß sie, allen- 
falls mit Ausnahme der Siebenbürger Sachsen, keine hervorragenden 
Führer besitzen. Die Deutschen bilden so für Ungarn ein sehr bedeut- 
sames Kulturelement, aber einen Anteil an der Herrschaft räumen 
ihnen die Magyaren als Deutschen nicht ein und nur dann, wenn 
sie sich als einzelne ihnen vollständig assimilieren. Die Magyaren 
sehen gar wohl ein, daß die Deutschen für sie nicht nur das einzige, 
sondern auch ein sehr wünschenswertes Element sind, um dasselbe 
mit sich ganz zu verschmelzen und ihre etwas dünnen Reihen da- 
durch zu verstärken, zumal der Deutsche im Auslande überall zeigt, 
wie leicht er unter Umständen eine fremde Nationalität annimmt 
und allmählich ganz in derselben aufgeht. Soweit nun der einzelne, 
wie das in Ungarn vielfach der Fall ist, um allerhand Vorteile 
willen und durch allerlei Mittel und Mittelchen gewonnen, sich dazu 
herbeiläßt, so ist gegen diese Magyarisierung, wenn man sie auch be- 
dauern mag, doch mit Grund nicht allgnviel einzuwenden. Damit 
begnügen sich aber die Magyaren, weil es ihnen zu lange geht, 
nicht und bemühen sich, die Deutschen in größerem Umfange, na- 
mentlich durch die Schulen zu magyarisieren. Darin liegt aber 
allerdings ein gewisser materieller und moralischer Zwang. dem 
durch Gründung und Unterstützung deutscher Schulen einigermaßen, 
jedoch nur ungenügend begegnet werden kann. Das geschieht nun 
auch nach Kräften, weniger von den österreichischen Deutschen, die 
mit sich selbst genug zu thun haben, als von Deutschland selbst 
aus. In Deutschland hat sich sogar ein eigenes Agitationskomité 
aus sehr angesehenen Männern gebildet, das die Frage offen in die 
Hand genommen, die Magyarisierungstendenz der Ungarn gegenüber 
ihren Deutschen förmlich denungiert hat und alles aufbietet, um 
dieselbe zu hemmen. Das ist an sich vom deutschen Standpunkt 
aus ganz berechtigt und nicht minder verdienstlich, aber es will 
uns scheinen, das die Agitation dabei enischieden übers Ziel hinaus- 
geschossen hat. Wenn die Deutschen Ungarns nicht selbst entschlossen 
sind und nicht selbst die Kraft dazu haben, ihre Nationalität zu 
wahren, so wird alle Mühe umsonst und nur geeignet sein, die 
Magyaren zu reigen und zu erbittern, aber durchaus nicht abzu- 
schrecken, wie die Verhandlungen im ungarischen Parlamente, zu 
denen die Sache Anlaß gab, deutlich gezeigt haben. Die Magyari-= 
sierung der ungarischen Deultschen wird denn auch allem Anschein
	        
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