Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Pforte. 
574 Übersicht der polilischen Entwichelung des Jahrts 1882. 
nur dadurch, daß die Führer der einen im Amte sind, die der an- 
deren dagegen sie daraus zu verdrängen suchen, um selbst hinein- 
zukommen; beiden ist der russische Einfluß lästig und zuwider, aber 
nur weil die besten Stellen in den Händen von Russen sind und sie 
selbst auf dieselben Anspruch machen; im übrigen dürften beide gleich 
bereit sein, sich russischem Einflusse zu fügen. Rußland hält es in- 
des für sicherer, die Sache selbst und durch seine eigenen Leute zu 
besorgen. Die bulgarischen Donaufeslungen werden denn auch nicht, 
wie es der Verliner Vertrag verlangt, geschleift; sie könnten Ruß- 
land gelegentlich später noch recht dienlich sein selbst in ihrem jetzigen 
Zustande eines halben Verfalls. Sogar in Ostbulgarien, der anto- 
nomen türkischen Provinz, besteht eine starke Strömung nach Ruß- 
land hin, weil die Vevölkerung eine Vereinigung mit dem Fürsten- 
tum Bulgarien wünscht und anstrebt und diesen Wunsch früher oder 
später durch Nußland und nur durch Rußland erfüllen zu können 
meint. Auf beide Bulgarien äußert Österreich so viel als gar keinen 
Einfluß und kann es mit Rußland lange nicht konkurrieren. Der 
einzige Erfolg, den es im J. 1882 auf der Balkanhalbinsel aufzu- 
weisen hat, ist, daß Fürst Milan von Serbien sich gegen Rußland 
und seinen Einfluß entschieden an Östlerreich angeschlossen hat, wofür 
ihm durch seine Vermittlung unter Zustimmung der Mächte erlaubt 
wurde, seinen Fürstenhut nach dem Vorgange Rumäniens mit einer 
Königskrone zu vertauschen. Indes die Stellung des neuen Königs 
ist eine nichts weniger als feste und ein Umschwung in russischem 
Sinne und Interesse liegt nichts weniger als außerhalb der Mög- 
lichkeit. Alles in allem genommen ist die Stellung und sind die 
Aussichten Österreichs auf der Valkanhalbinsel keine glängenden. 
Glücklicherweise für dasselbe hat in Rußland seit der Mitte des 
Jahres 1882 die Friedensströmung vorerst die Oberhand gewonnen 
und ist Rußland, ohne Abentener, durchaus nicht in der Lage und 
auch nicht geneigt, dem wankenden türkischen Neiche einen neuen 
Stoß zu versetzen. 
Es ist dies ein Glück nicht nur für Österreich, sondern für 
ganz Europa. Denn die überzeugung ist eine ziemlich allgemeine, 
daß ein energischer Stoß von dieser Seite her gegen das türkische 
Neich auch der letzte wäre und einen Zusammenbruch zur Folge 
haben würde, der fast unausweichlich zu einem allgemeinen euro- 
päischen Kriege führen müßte. Die Aufrechthaltung des türkischen 
Reiches auf irgend welche feste Dauer ist von allen Seiten offenbar
	        
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