Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

576 Ubersicht der polilischen Eukwichelung des Jahres 1882. 
ein gutes, ja vortreffliches ist und man ihnen fast durchweg mit 
gutem Willen entgegenzukommen scheint. Den Augiasstall der BVer- 
waltung, wo überall Willkür und Korruption herrscht, auszumisten, 
wäre dagegen ein ganz hoffnungsloses Unternehmen. Die Türkei 
ist seit dem letzten Kriege thatsächlich bankerott und ihr Kredit an 
den europäischen Börsen gleich Null. Da ist es schon etwas, daß 
es den deutschen Veamten wenigstens gelungen ist, die enropäische 
Schuld, freilich unter starker Reduktion der Zinsen, mit Hilfe der 
Ottoman-Bank zu ordnen, die Verlegenheitsschulden an die wucheri- 
schen Bankiers von Pera und Galata ins reine zu bringen, den 
Betrag der schwebenden Schuld festzustellen und die Hoffnung zu 
hegen, daß vielleicht sogar Mittel und Wege gesunden werden könnten, 
die successive Vezahlung der Kriegsentschädigung an Rußland, wo- 
rüber im Laufe des Jahres 1882 mit diesem ein Abkommen ge- 
troffen wurde, wirklich aufzubringen. Zum erstenmal wurde von 
ihnen in diesem Jahre ein Vudget aufgestellt, das nicht mit rein 
fiktiven Summen rechnet. Das finanzielle Hauptgebrechen liegt 
darin, daß die Finanzverwaltung auf fast gar keine Eingänge ganz 
bestimmt rechnen kann, daß ein Teil der Bekräge an Abgaben 2c. 
in den Taschen der Provinggouverneure und ihrer Beamten ver- 
schwindet, daß die Palastverwaltung selbst und jeder Minister, wenn 
er augenblicklich Geld braucht, auf irgend eine bereit liegende Summe 
einfach Beschlag legt, ohne sich um seine Kollegen d. h. um das 
Ganze zu bekümmern, und daß die Türkei überhaupt einen Schwarm, 
viel zu viel Beamtete aller Art hat, die mit wenigen Ansnahmen 
alle nur schlecht, unregelmäßig, oft auch gar nicht bezahlt werden 
und die dadurch unausweichlich auf Willkür, Unterschlagung, Trink- 
gelder, kurz eine Korruption aller nur möglichen Art geradezu an- 
gewiesen sind. Eine Reduktion der Zahl der Beamten, die aber 
dann auch anständig und regelmäßig bezahlt werden müßten, wäre 
ein absolutes Bedürfnis, ist aber wohl aussichtslos. Manche Ver- 
besserung wäre vielleicht immerhin noch möglich, aber sie erforderte 
Anstrengung und Zeit: die Indolenz der Orientalen und die fort- 
währende Bedrängung von außen stehen dem einen und dem an- 
dern im Wege. Die Reformen, welche von den Mächten gewünscht 
und hie und da nachdrücklich verlangt werden, blieben im Laufe des 
Jahres 1882 vollständig liegen. Der Sultan war während des- 
selben von den ägyptischen Dingen präokklupiert und gab sich dem 
Wahne hin, das, was er an Macht und Ansehen in Europa einge-
	        
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