Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

56 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 2—3.) 
sich wenig um Tegernseer Erklärung und die angeblichen kirchlichen Be- 
schwerden bekümmert, der Ausfall der Wahlen sei vielmehr auf sonstige Un- 
zufriedenheit und ihre künstliche Nährung zurückzuführen . Daß im Bil- 
dungswesen nach der Natur der menschlichen Dinge einzelne Mißgriffe vor- 
gekommen seien, gibt v. Schanß offen zu und spricht überhaupt im Sinne 
eines wahren würdigen Friedens, der übrigens, wie er geltend macht, in 
Bayern in Wahrheit nicht gestört. ist. Aber mit der größten Entschiedenheit 
erklärt er schließlich, daß ein System, wie es die Rittler´sche Auffassung in 
Staat und Kirche vertrete und für dessen Nichtannahme dieser die Staats- 
regierung verantwortlich machen wolle, von Seiten aller Andersdenkenden 
aufs äußerste bekämpft werden müßte. Dr. Daller (ultr.) macht das Zu- 
geständnis, daß in weiten Kreisen des Volkes das Hauptbollwerk des Rittler'- 
schen Standpunktes, die Tegernseer Erklärung, eine unbekannte Größe sei. 
Allein er meint, daß die einzelnen Maßnahmen der Staatsregierung, welche 
aus dem von ihr verfolgten Systeme sich ergäben, auch bei der Masse das 
Bewußtsein des erlittenen Unrechts geweckt haben, und beklagt den Mangel 
jedes Entgegenkommens Seitens der Regierung, indem er hervorhebt, daß 
die Männer von höherer Bildung auf der Rechten dafür gewiß ein Ver- 
ständnis haben würden. Minister v. Lutz: Über den Charakter der Tegern- 
seer Erklärung sei eine rechtliche Meinungs- verschiedenheit ganz unmoglich. 
Das damals schon giltige auf der Übereinstimmung der drei Gesetzgebungs- 
faktoren beruhende Verfassungsrecht habe der König durch jene Erklärung 
weder ändern wollen noch können. Auch der Referent scheine jetzt seine Auf- 
fassung von der Bedeutung jenes Aktenstückes gegen das schriftliche Referat 
nicht unwesentlich verändert zu haben und werde es nicht als Indiskretion 
betrachten, wenn der Minister ihn daran erinnere, daß er selbst bei anderer 
Gelegenheit als den Kern der Erklärung die Zusicherung wohlwollender Be- 
handlung der Kirche bezeichnet habe. In diesem Sinne sei auch bisher der 
Erklärung nachgelebt worden. Auf die einzelnen Beschwerdepunkte des Re- 
ferenten und des Abg. Daller übergehend, hebt der Minister hervor, auf wie 
wenige und unbedeutende Punkte sie nach den eigenen Darlegungen der 
HH. Rittler und Daller am Ende zusammenschrumpften, und verwahrt sich 
dagegen, daß die katholische Kirche in Bayern gerechte Beschwerden geltend 
zu machen habe. Wäre dies der Fall, so würden der päpstliche Runtius 
und die Bischöfe als legitime Vertreter der Kirche es nicht an Vorstellungen 
haben fehlen lassen. Wünsche mögen vorhanden sein, darunter gerechtfertigte 
und zu befriedigende, aber auch solche, welche entschieden unerfüllbar sind. 
Bezüglich des Verhältnisses der Kirche zur Schule sei die von Dr.Rittler 
geforderte Mitaufsicht der Kirche auf das ganze Unterrichtswesen un- ausführ- 
bar, weil eine einheitliche Leitung notwendig, und ohne gesetzliche Grund- 
lage, weil das Religionsedikt bestimmte Rechte der Kirche und nur diese 
festsetze. Daß innerhalb dieser Grenzen der Staat bereitwilligst die Mit- 
wirkung der Geistlichen annehme, bezeuge z. B. der Umstand, daß fast alle 
Auszeichnungen an katholische Geistliche für Verdienste um die Schule er- 
teilt würden. In wie ferne bezüglich der Simultanschule Abhilfe berech- 
tigter Klagen in Aussicht genommen sei, habe er in der Reichsratskammer 
erklärt und werde dies Versprechen, auch ganz abgesehen von dem Schicksal 
der betreffenden Gesetzesvorlage, erfüllen. Die Simultanschule im Prinzip 
aufzugeben, sei unmöglich weil die Tatsachen und Verhältnisse stärker seien 
als der Einzelne. Der Klage über altkatholische Professoren in der theo- 
logischen Fakultät zu München sei er bereit, in einer den Betreffenden mit 
allen Ehren gerecht werdenden Weise Abbilfe zu schaffen (d. h. sie in die 
philosophische Fakultät zu versetzen). Das Monitum wegen des Eides der 
Theologen bei Doktorpromotionen sei unter Zustimmung aller Faktoren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.