58 Das deutsche Reich und seine rinzelnen Gliedrr. (März 3—4.)
Voraussetzung der Gewährung und Aufrechthaltung dieser Zustände betont
der Minister in seinem Schlußworte das entsprechende Entgegenkommen, ver-
langt dagegen energisch das Aufhören der verwerflichen Agitation gegen die
Staatsgewalt. Nur unter dieser Bedingung lasse sich auf die Dauer Er-
sprießliches erwarten, v. Schlör (lib.) faßt bezüglich der Rittler´schen Auf-
stellungen sein Urteil dahin zusammen, daß dieselben das seit 60 Jahren in
Bayern geltende Recht auf den Kopf stellen würden. Getraue man sich der-
gleichen radikale Umgestaltungen vorzuschlagen, so sei der Weg dazu die Ein-
bringung von Gesetzvorschlägen; innerhalb der Aufgaben des Finanzausschusses
liege dergleichen nicht und deshalb verzichte er auch darauf, die Materie
weiter zu diskutieren. Vaillant (lib.) erhebt Protest gegen die Stellung,
welche in einem nach dem Rittler'schen Staats- und Kirchenrecht regierten
Staate den Protestanten bereitet werden würde, im Unterschiede von dem im
paritätischen Bayern vorhandenen Rechtszustande, und Frankenburger (lib.)
erinnert daran, daß auch noch andere Religions- genossenschaften außer den
Katholiken und Protestanten in Bayern vorhanden seien und in dem Re-
ligionsedikte ihren Rechtsschutz fänden. Minister v. Lutz erklärt sein Be-
dauern im sachlichen Interesse, daß die entgegenkommende Haltung der Re-
gierung dem Referenten und seinen Freunden so ungenügend erscheine. Vom
Standpunkte des Herrn Dr. Rittler aus, welcher in der Tat das bayerische
Verfassungs- recht auf den Kopf stellen würde, sei allerdings ein Ausgleich
nicht zu gewinnen, denn jeder bayerische Minister, er möge heißen wie er
wolle, werde die Verfassung aufrecht zu erhalten haben. Die Aus- übung des
Placetrechts sei eine so milde gewesen, daß man fast zweifelhaft sein könne,
ob sie sich noch im Rahmen der Verfassung bewegte. Nur da, wo man ver-
sucht habe, in Folge des Unfehlbarkeitsdogmas in die Rechte Dritter einzu-
greifen und gegen sie den Zwang des Staates anzurufen, sei eingeschritten
worden. Der Minister gibt schließlich den Rat, die Herren möchten ihrer-
seits noch einmal in ernste Erwägung nehmen, ob sie das Entgegenkommen
abweisen wolllen.
3 — 4. März. (Preußen.) Volkswirtschaftsrat: berät im
Plenum über das Tabakmonopol. Der Entwurf unterliegt einer
weiteren Beratung im Ausschuß und geht dann an das Plenum
zurück, das schließlich sein Gutachten für oder gegen abgeben wird.
Ministerialrat v. Mayr verteidigt den Entwurf sehr lebhaft als
Regierungskommissär.
Die Ansichten scheinen sehr geteilt zu sein und die Stimmen für und
gegen sich so ziemlich die Wage zu halten So viel steht übrigens bereits
fest, daß der Volkswirtschaftsrat gerade auch in dieser Frage, an der dem
Reichskanzler so viel gelegen ist, den Namen eines „technischen Beirats der
Regierung in wirtschaftlichen Fragen“ durchaus nicht verdient. Derselbe
zählt unter seinen Mitgliedern einen einzigen wirklichen Sachverständigen in
dieser Frage, den Tabakfabrikanten Schöpplenberg und dieser spricht sich
gegen das Monopol aus. Alle anderen verstehen von der Frage offenbar
nicht mehr, als jeder beliebige Reichsbürger, welcher derselben einige Auf-
merksamkeit zugewendet hat. Die Debatte beweist, wie leicht es vorkommen
kann, daß eine ständige Sachverständigen-Körperschaft für spezielle Fragen,
und darunter Fragen von der größten Tragweite, sich gar nicht als sach-
verständig erweist. Im Reichstage z. B. hätte sich die Regierung zwanzig-
mal mehr technische Information über den vorliegenden Gegenstand holen
können. Im Volkswirtschaftsrat selbst erkennt auch einer der Redner die
Unzulänglichkeit der Sachkunde dieser Körperschaft offen an.