Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 7—8.) 63
des Antrags veranlaßten, und schließt mit der Aufforderung an die Linke,
durch die Annahme des Antrags einen Akt der von ihr so hochgepriesenen
Toleranz zu begehen. Kultusminister Dr. v. Lutz weist unter namentlicher
Berücksichtigung der mit Rom gepflogenen Verhandlungen nach, daß die
Tegernseer Erklärung ein Staatsakt von verbindlicher Rechtsnorm nicht sei
und die Widersprüche zwischen Konkordat und Religionsedikt nicht zu be-
seitigen vermochte. Das Konkordat habe den Charakter als Staatsgrund-
gesetz nur vorbehaltlich der Bestimmungen des Religionsedikts haben sollen,
und die Tegernseer Erklärung hätte nur mit Zustimmung des Landtags
einen jenes Edikt alterierenden und das Konkordat erweiternden Einfluß er-
langen können. Der Minister weist nach, daß dieß von Rom auch aner-
kannt worden sei. Wozu also sei der Antrag. eingereicht? Es gebe keine
ernsthafte Beschwerde der katholischen Kirche in Bayern. Dieselbe könne
ihre Kraft nach Wohlgefallen entwickeln. „Wir haben keinen Kulturkampf,
auch keinen stillen.“ Er schildert die Fürsorge der Staatsregierung für die
geistliche Wirksamkeit in Schule und Kirche. Zur Durchführung des An-
trags könnte nichts geschehen, als daß zur ersten Tegernseer Erklärung eine
zweite komme und die Verwirrung noch größer werde. Der Antrag sei
schon deshalb aussichtslos, weil er eine Änderung der Verfassung bedeute
und deshalb einer Zweidrittelmajorität bedürfe. So müsse denn das bis-
herige Recht aufrechterhalten bleiben, bis Zeit und Umstände gestatten, das
Recht zu ändern. Am Schlusse versichert der Minister wiederholt, daß er
den berechtigten Wünschen der Katholiken mit größtem Wohlwollen auch
ferner entgegenkommen werde. v. Schauß (lib.) und Frhr. v. Lerchen-
feld (lib.) bekämpfen den Antrag, ins- besondere vom Standpunkte der Gleich-
berechtigung der Konfessionen aus. Letzterer legt aktenmäßig dar, daß die
Gleichberechtigung der Protestanten durch die in dem Antrage verlangte
Verfassungsänderung im höchsten Grade gefährdet sei. Die Garantie für die
Gleichberechtigung erblicken die Protestanten allein im Religionsedikt, nicht
aber in der Toleranz Rittlers und nicht in seinem und anderer Urteil über
die Grenzen des göttlichen und des weltlichen Rechtes. Walter (ultram.)
deduziert in Befürwortung des Antrages: die Erklärung müsse zweifellos
eine Bedeutung haben, und zwar die, daß für die inneren Verhältnisse der
katholischen Kirche das Konkordat maßgebend und dessen Bestimmungen aus-
zuführen seien, auch wenn Hoheitsrechte des Staates dabei übergangen
werden müßten. Kultusminister v. Lutz hält dagegen seine ersten Aus-
führungen aufrecht, und erwidert auf eine Äußerung des Vorredners, daß
er von der Notwendigkeit des Kanzelparagraphen auch heute noch über-
zeugt sei.
Tatsächlich ist die Lage die, daß die Tegernseer Erlkärung (s. den
Wortlaut derselben S. 30) — d. d. 15. Sept. 1821 im Jahre 1818 in
aller Form aufgehoben, 1852 und 1854 in zwei Parteien wieder hergestellt,
im Jahre 1873 aber neuerdings wieder aufgehoben wurde. Die gesetzliche
Ungültigkeit derselben ist außer Frage: seit dem 26. Mai 1818 bestand in
Bayern eine Verfassung und somit konnte König Max Josef I. diese Er-
klärung zwar einseitig erlassen, ihr aber damit nicht zugleich auch Gesetzes-
kraft verschaffen. Ihre neuerliche Wiederherstellung ist geradezu unmöglich,
ohne endlose Kämpfe hervorzurufen. Die Abstimmung der Kammer ist dafür
im höchsten Grade bezeichnend. Wenn es in derselben eine Partei gibt,
der die Sache des „christlichen Staates“ wirklich am Herzen liegt, ist es die
kleine vierköpfige konservative Gruppe. Aber siehe da, diese Gruppe teilt
sich: die drei protestantischen Mitglieder Lemberd, Löfflad und Dr. Luthardt
stimmen mit Nein, das katholische Mitglied Friedrich Hörmann mit Ja.
Es muß in jenem Antrage auch für das kirchlich gesinnteste und katholiken-