Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

160 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 28.) 
bahnverstaatlichungsvorlage der Regierung an eine Kommission von 
21 Mitgliedern. 
Die Vorlage ist von einer einläßlichen Denkschrift begleitet. Es 
handelt sich Innächst um übernahme 1) der Oberschlesischen, 2) der Breslau= 
Schweidnitz-Freiburger, 3) der Rechten Oder- Ufer-, 4) der Posen- Kreuzburger 
und 5) der Altona-Kieler Eisenbahn, ferner um den Erwerb des im Fürsten- 
tum Schaumburg-Lippe belegenen Teils der Hannover-Mindener Eisenbahn. 
über den Erwerb dreier weiterer Bahnen, der Tilsit-Insterburger, Öls-Gnesener 
und Berlin- „Hamburger Eisenbahn, liegen Generalversammlungebeschlüsse noch 
nicht vor. Die Vorlage erwähnt dieser Linien und bemerkt in den Motiven. 
„daß mit dem Erwerb dieser acht Linien für den Staat die Durchführung 
des Staatseisenbahnsystems  im wesentlichen ihren Abschluß erreicht haben 
wird."“ Diesem Satze geht folgende bemerkenswerte Motivierung voraus: 
„Unter den noch verbleibenden inländischen Privatbahnen befindetk sich ein 
Teil in der Verwaltung des Staates für Rechnung der betreffenden Gesell= 
schaften, ohne daß die Sonderinteressen der letzteren zur Zeit eine Lösung 
dieses Verhältnisses geboten erscheinen lassen ein anderer Teil, aus Neben- 
linien und untergeordneten Verbindungen der vorhandenen Hauptbahnen be- 
stehend, dient nicht dem großen Verkehr ein dritter Teil gehört zwar zu 
der Kategorie der Hauptbahnen, die Belassung derselben im Privatbetriebe 
bietet jedoch zur Zeit kein zu erhebliches Hindernis für die einheitliche Ge- 
staltung der Betriebs= und Verkehrsleitung  auf den großen Transportlinien 
der vaterländischen Eisenbahnen. Die etwaige künftige Erwerbung einzelner 
der diesen drei Gruppen angehörenden Privatbahnen ist daher im allgemeinen 
nicht sowohl eine Frage der Eisenbahnpolitik, als vielmehr eine Frage der 
praktischen Zweckmäßigleit, deren Erwägung und endliche Lösung dem ge- 
eigneten Zeitpunkt vorbehalten. bleiben kann.“ Die auf den Staat über- 
gehenden Fonds der zunächst in Frage kommenden sechs Bahnen betragen, 
nach Abzug von 2,326,400 .M Entschädigungen, 49.110,342 „M Nach einer 
der Vorlage beigegebenen übersicht sind „für die Aktien der bereits auf den 
Staat übergegangenen Bahnen und derjenigen Privatbahnen, deren staats- 
seitiger Erwerb vorbereitet ist“, Staateschuldverschreibungen in Höhe von 
1,821, 196, 652 . M. (davon rund 1810, 84 Mill. . M proz. und 10,35 Mill. M 
4½ proz.) auszugeben. Der Entwurf ermächtigt die Staateregierung zur Aus- 
gabe von 427.490,500 M 4 prozentiger Konsols zum Umtausche von Aktien 
resp. Entschädigung der Lippe'schen Regierung; ferner zur Verwendung von 
8,944,500 aus den Fonds der betreffenden Eisenbahnen zu den auf die 
Aktien einiger Bahnen zu leistenden Zuzahlungen; weiter zur eventuellen 
Emission von 42, 232, 900 M Schuldverschreibungen zur Deckung der Kosten 
für die den einzelnen Bahnen konzessionierten und noch nicht gebauten Linien. 
Endlich wird die Vollmacht Aur Kündigung von 359,820,300 M Anleihen 
der Gesellschaften beantragt. Diese sollen zur Rückzahlung bez. zum Umtausch 
gegen Staatsschuldverschreibungen gekündigt werden. Das preußische Staats- 
bahnnetz hat! jetzt eine Ausdehnung von 15,695 km, das Privatbahnnetz von 
5965 km. Von letzteren werden aber 2110 km vom Staate für Rechnung 
der Gesellschaften betrieben. Es bleiben also thatsächlich nur 3825 km oder 
17.60 Proz. unter Privatverwaltung, und diese verteilen sich auf eine so 
große Zahl von Linien, daß sie auf Selbständigkeit keinen Anspruch mehr 
machen können. Das Staatsbahnsystem erscheint also thatsächlich so gut wie 
abgeschlossen. 
28. November. (Baden.) II. Kammer: Debatte über den 
Erlaß des Staatsministers Turban an die Beamten vor den Wahlen,
	        
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